Rotlicht und Rotlichtverstoß Fahrtenbuchauflage bei Querschnittlähmung zulässig

Führen eines Fahrtenbuchs nach erheblichem Verkehrsverstoß (Rotlichtverstoß) auch mit körperlicher Behinderung nicht unverhältnismäßig

Verwaltungsgericht Berlin, Urteil vom 20.10.2011
– VG 20 K 271.10 –

Auch einem Querschnittgelähmten kann nach einem Verkehrsverstoß das Führen eines Fahrtenbuchs auferlegt werden. Dies entschied das berliner Verwaltungsgericht.

Mit dem auf den Kläger zugelassenen Fahrzeug war im November 2009 ein Rotlichtverstoß (Rotlicht) begangen worden. Der Kläger machte keine Angaben zur Identifizierung des Fahrers. Das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten legte Ihm ein Fahrtenbuch für die Dauer eines Jahres auf. Hiergegen wandte sich der Kläger unter Verweis auf seine Querschnittlähmung; er meinte, das Fahrtenbuch sei für ihn mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand verbunden, da er täglich auch kürzeste Distanzen mit dem PKW zurücklegen müsse.

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Rechtsanwalt Michael Erath

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Winterreifenpflicht ist verfassungswidrig

Oberlandesgericht Oldenburg, Urteil vom 09.07.2010 
– 2 SsRs 220/09 –

Das Oberlandesgerichtentschied, dass die Vorschrift des § 2 Abs. 3a S. 1 und 2 in Verbindung mit § 49 Abs. 1 Ziff. 2 StVO gegen das verfassungsmäßig gebotene Bestimmtheitsgebot verstoße. Nach Art. 103 Abs. 2 Grundgesetz sei der Gesetzgeber verpflichtet, die Voraussetzungen für eine Strafbarkeit bzw. einer Ordnungswidrigkeit so konkret zu umschreiben, dass der Anwendungsbereich für den Einzelnen erkennbar sei oder sich durch Auslegung ermitteln lasse.

Der Bußgeldtatbestand der §§ 49 Abs. 1 Nr. 2, 2 Abs. 3 a S. 1, 2 StVO ist wegen Verstoßes gegen das Bestimmtheitsgebot verfassungswidrig, soweit er einen Verstoß gegen das Gebot, ein Kraftfahrzeug mit einer an die Wetterverhältnisse angepassten, geeigneten Bereifung auszurüsten, ahndet.

OLG Oldenburg (Oldenburg) Senat für Bußgeldsachen, Beschluss vom 09.07.2010, 2 SsRs 220/09

§ 2 Abs 3a S 1 StVO, § 2 Abs 3a S 2 StVO, § 49 Abs 1 Nr 2 StVO, § 80 BVerfGG, Art 100 GG, Art 103 Abs 2 GG

Tenor

I. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hin wird das Urteil des Amtsgerichts Osnabrück vom 14.09.2009 im Schuld- und Rechtfolgenausspruch teilweise aufgehoben.
Gegen den Betroffenen wird eine Geldbuße von 50,- € wegen Fahrens mit nicht angepasster Geschwindigkeit (§ 24 StVG, §§ 3 Abs. 1 S. 1, S. 2, 49 Abs. 1 Nr. 3 StVO) festgesetzt.
Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird verworfen.
II. Der Betroffene hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen, jedoch werden die Gerichtsgebühren insoweit um die Hälfte ermäßigt. Die Landeskasse hat dem Betroffenen die Hälfte der notwendigen Auslagen, die im Rechtsbeschwerdeverfahren entstanden sind, zu erstatten.
 

Gründe


I. Gegen den Betroffenen wurde am 16.02.2009 eine Geldbuße von 85 € verhängt. Nach Einspruch des Betroffenen hat ihn das Amtsgericht Osnabrück durch Urteil vom 14.09.2009 zu einer Geldbuße in Höhe von 85,- Euro wegen Fahrens mit nicht angepasster Geschwindigkeit in Tateinheit mit Benutzung einer nicht an die Wetterverhältnisse angepassten und damit ungeeigneten Bereifung verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen befuhr der Betroffene am 22.11.2008 um 12.10 Uhr in B… den Verkehrsbereich … mit seinem Pkw Opel, auf dem neue Sommerreifen aufgezogen waren. Dabei überfuhr er eine Eisfläche und schlitterte in das Schaufenster eines gegenüberliegenden Geschäfts. Das Amtsgericht hat weiter festgestellt, dies sei geschehen, weil der Betroffene zum einen zu schnell gefahren sei und zum anderen, weil er keine für das Wetter angemessene Bereifung aufgezogen habe.
Das Amtsgericht hat die Feststellungen zur Bereifung wie folgt begründet:
„Fest steht auch aufgrund der Einlassungen, dass es an dem Tag kalt war und sich in der Mitte der Straße eine Eisfläche befand.
Damit hat das Gericht eine ausreichende Tatsachengrundlage für die Feststellungen der nicht angemessenen Ausrüstung. Insoweit kommt es gemäß § 2 Abs. 3 a S. 1 StVO auch nicht auf die Straßenverhältnisse der konkret befahrenen Straße, sondern auf die Wetterverhältnisse an. Allein der Umstand, dass sich eine Eisfläche auf der Straße befand, lässt hinreichend sicher darauf schließen, dass mit Glatteis zu rechnen war und die Temperaturen unter null Grad Celsius waren.
Insoweit ist es auch unerheblich, ob der Unfall auch mit Winterreifen passiert wäre, bzw. ob sich der Unfall auch mit Winterreifen ereignet hätte. Denn Winterreifen sind die für den Winter geeignete Bereifung. Sie sind auch geeigneter als Sommerreifen. Abzustellen ist auch nicht etwa auf die Frage, ob neue Sommerreifen besser fassen als alte, abgefahrene Winterreifen. Der Betroffene ist hier, wenn auch mit noch gut profilierten Sommerreifen gefahren, die nicht geeignet sind für das Fahren im Winter, wenn Glatteis auf der Straße ist.“
Der Betroffene hat gegen dieses Urteil mit anwaltlichem Schreiben vom 16.09.2009, eingegangen beim Amtsgericht Osnabrück am 17.09.2009, gemäß §§ 80 Abs. 3 S. 1 i. V. m. 79 Abs. 3 S. 1 OWiG i. V. m. §§ 341 Abs. 1, 43 Abs. 1 StPO fristgemäß beantragt, die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts bzw. zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen und mit diesem Antrag gemäß § 80 Abs. 3 S. 2 OWiG zugleich vorsorglich die Rechtsbeschwerde eingelegt. Auch die Begründungsschrift zum Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde wurde gemäß §§ 80 Abs. 3 S. 1 i. V. m. 79 Abs. 3 S. 1 OWiG i. V. m. §§ 345 Abs. 1 S. 1, 2, 43 Abs. 1 StPO fristgemäß beim Amtsgericht Osnabrück eingereicht, da dem ordnungsgemäß bevollmächtigten Verteidiger des Betroffenen das Urteil am 06.10.2009 zugestellt wurde und die Begründungsschrift am 06.11.2009 per Fax beim Amtsgericht Osnabrück eingegangen war.
Der Betroffene führt zur Begründung der Rechtsbeschwerde aus, es sei entgegen der Rechtsauffassung des Amtsgerichts anhand der konkreten Umstände zu ermitteln, welche Bereifung im Sinn des § 2 Abs. 3 a StVO tatsächliche die geeignete gewesen sei. Es hätte daher Feststellungen dazu bedurft, ob und inwieweit Winterreifen – ggf. welche? – hier den Unfall hätten verhindern helfen. Es gebe nämlich gerade keinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass auch bei winterlichen Straßenverhältnissen Winterreifen stets die bessere Wahl seien. Darüber hinaus ließen sich Situationen denken, bei denen der Unfall sich auch mit Winterreifen ereignet hätte. Das Amtsgericht hätte deshalb nicht aus eigener Sachkunde zu einer Verurteilung kommen dürfen, sondern hätte dem Beweisantritt in der Schutzschrift vom 06.02.2009 – Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache, dass es auch mit Winterreifen zu dem Unfall gekommen wäre – nachgehen müssen.
Die Generalstaatsanwaltschaft Oldenburg hat zu § 2 Abs. 3 a StVO in ihrer Stellungnahme ausgeführt:
„….enthält die erst am 01.05.2006 in Kraft getretene Vorschrift des § 2 Abs. 3 a StVO unbestimmte Rechtsbegriffe, die noch der obergerichtlichen Ausformung bedürfen (Hentschel-König, Straßenverkehrsrecht, 39. Aufl., § 2 StvO Rn. 72 a). So stellt sich im vorliegenden Fall die klärungsbedürftige und entscheidungserhebliche Rechtsfrage, was unter einer „geeigneten Bereifung“ zu verstehen ist. Der Beschwerdeführer ist der Auffassung, dass auch gut profilierte Sommerreifen bei winterlicher Witterung eine geeignete Bereifung darstellen. Die aufgeworfene Frage ist auch von praktischer Bedeutung und sollte daher grundsätzlich entschieden werden.
Im Falle ihrer Zulassung dürfte die Rechtsbeschwerde aber unbegründet sein. Die Auffassung des Amtsgerichts, dass nur Winterreifen die für das Fahren bei winterlichem Wetter geeignete Bereifung sind und es daher auf den Zustand der verwendeten Sommerreifen nicht im konkreten Fall nicht ankommt, verdient wohl Zustimmung.
Die Vorschrift des § 2 Abs. 3 a S. 1 + 2 StVO begründet allerdings nach ihrem Wortlaut keine „Winterreifenpflicht“ und gilt im Prinzip auch für alle Wetterverhältnisse. Gleichwohl zielt sie ersichtlich auf den Winter ab und ist auf ein „Sommerreifenverbot“ bei nennenswertem Schneefall (Hentschel-König aaO) , auf eine „situationsbezogene Winterreifenpflicht“ (Schubert, Die neue „Winterreifenpflicht“ in der StVO, DAR 2006, S. 112, 114) angelegt. Tests haben ergeben, dass Sommerreifen jedenfalls bei Schnee in der Regel eine „ungeeignete Bereifung“ darstellen und daher mit Sommerreifen bei drohendem Schneefall und erst recht bei und nach Schneefall nicht mehr gefahren werden darf (Schubert a.a.O S. 116). Gleiches dürfte für winterliche Wetterverhältnisse gelten, bei denen mit Glatteisbildung auf den Straßen zu rechnen ist. Erfahrungswerte sprechen dafür, dass ein reiner Sommerreifen mangels groben Profils und Lamellen mit Schnee und Eis nicht hinreichend zurecht kommt (Hentschel-König a.a.O.). Das häufig gehörte Argument, dass ein guter Sommerreifen unter Umständen bessere Wintereigenschaften hat als ein schlechter oder alter Winterreifen (vgl. Schubert a.a.O. S. 116), steht der hier vertretenen Auffassung nicht entgegen, weil ein „abgefahrener“ Winterreifen selbstverständlich ebenfalls keine geeignete Bereifung darstellt.“
Die Einzelrichterin des Senats hat die Rechtsbeschwerde durch Beschluss vom 19.01.2010 zur Fortbildung des Rechts gem. § 80 Abs.1 Nr.1, Abs. 2 Nr. 1 OWiG zugelassen und die Sache gem. § 80 a Abs. 3 OWiG auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
II. Der Senat hat nunmehr über die Begründetheit der Rechtsbeschwerde zu entscheiden.
 
1. Dem Betroffenen kann kein Verstoß gegen §§ 2 Abs. 3 a S. 1, 2, 49 Abs. 1 Ziff. 2 StVO zur Last gelegt werden. Dieser Bußgeldtatbestand der §§ 2 Abs. 3 a S. 1, 2, 49 Abs. 1 Ziff. 2 StVO ist verfassungswidrig und damit ungültig, soweit er den Verstoß gegen die Pflicht, eine den Wetterverhältnissen angepasste, geeignete Bereifung vorzunehmen, sanktioniert.
a) Hierüber kann der Senat selbst entscheiden. Das Bundesverfassungsgericht hat nach Art. 100 GG, § 80 BVerfGG ein Verwerfungsmonopol für formelle Gesetze. Für Rechtsverordnungen besteht eine solches Monopol nicht (BVerfGE 75, 166; BVerfGE 48, 40). § 2 Abs. 3 a StVO wurde durch Rechtsverordnung erlassen. Die Vorschrift wiederholt nicht den Inhalt eines formellen Gesetzes; die verfassungsrechtliche Bewertung des § 2 Abs. 3 a StVO entscheidet nicht zugleich über die Verfassungsmäßigkeit eines unmittelbar maßgeblichen formellen Gesetzes. Der Inhalt des § 2 Abs. 3 a StVO wird auch nicht von einer Norm des formellen Rechts vorausgesetzt (zu diesen Ausnahmekriterien vgl. BVerfGE 75, 166). Ein Vorlage an das Bundesverfassungsgericht wäre deshalb gem. Art.100 GG, § 80 BVerfGG unzulässig. Der Senat hat folglich selbst über die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Bußgeldtatbestandes gem. §§ 2 Abs. 3 a S. 1, 2, 49 Abs. 1 Ziff. 2 StVO zu entscheiden.
 
b) Der Bußgeldtatbestand der §§ 2 Abs. 3 a S. 1, 2, 49 Abs. 1 Ziff. 2 StVO verstößt gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG, soweit er den Verstoß gegen die Pflicht, eine den Wetterverhältnissen angepasste, geeignete Bereifung vorzunehmen, sanktioniert, und ist damit insoweit verfassungswidrig.
aa) Nach Art. 103 Abs. 2 GG kann eine Tat nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Art. 103 Abs. 2 GG verpflichtet den Gesetzgeber demnach, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen (BVerfGE 47, 109, 120 m.w. Nachw.; BVerfGE 55, 144, 152; BVerfG, Beschluss vom 29.04.10, 2 BvR 871/04, 2 BvR 414/08, – juris -). Der Einzelne soll auf diese Weise von vornherein wissen können, was strafrechtlich verboten ist, damit er in der Lage ist, sein Verhalten danach einzurichten (st. Rechtsprechung des BVerfG, vgl. nur BVerfG, NJW 1978, 1423 mwN). Dies gilt nicht nur für Straf-, sondern auch für Bußgeldtatbestände (vgl. BVerfG, NJW 2010, 754; NJW 1986, 1671), so dass auch der Bußgeldtatbestand der §§ 24 StVG, 2 Abs. 3 a S. 1, 2, 49 Abs. 1 Ziff. 2 StVO am Maßstab des Art. 103 Abs. 2 GG zu messen ist.
Die Verpflichtung des Art. 103 Abs. 2 GG dient einem doppelten Zweck. Es geht einerseits um den rechtsstaatlichen Schutz des Normadressaten: Jedermann soll vorhersehen können, welches Verhalten verboten und mit Strafe oder der Auferlegung eines Bußgeldes bedroht ist. Im Zusammenhang damit soll andererseits aber auch sichergestellt werden, dass der Gesetzgeber über die Strafbarkeit oder die Bußgeldvoraussetzungen entscheidet. Insoweit enthält Art. 103 Abs. 2 GG einen strengen Gesetzesvorbehalt, der es der vollziehenden und der rechtsprechenden Gewalt verwehrt, über die Voraussetzungen einer Bestrafung oder die Auferlegung eines Bußgeldes selbst zu entscheiden (BVerfGE 47, 109, 120; BVerfGE 75, 329, 340 f. = NJW 1987, 3175). Allerdings darf das Gebot der Gesetzesbestimmtheit nicht übersteigert werden. Die Gesetze würden sonst zu starr und kasuistisch und könnten der Vielgestaltigkeit des Lebens, dem Wandel der Verhältnisse oder der Besonderheit des Einzelfalles nicht mehr gerecht werden. Diese Gefahr läge nahe, wenn der Gesetzgeber stets jeden Tatbestand bis ins letzte ausführen müsste (BVerfGE 14, 245, 251). Das Strafrecht, und da Art. 103 Abs. 2 GG auch für Bußgeldtatbestände gilt, auch das Ordnungswidrigkeitenrecht, können deshalb nicht darauf verzichten, allgemeine Begriffe zu verwenden, die formal nicht allgemeingültig umschrieben werden können und mithin in besonderem Maße einer Deutung durch den Richter bedürfen (BVerfGE 11, 234, 237;BVerfG NJW 1978, 1423). Gegen die Verwendung derartiger Rechtsbegriffe bestehen jedenfalls dann keine Bedenken, wenn sich mit Hilfe der üblichen Auslegungsmethoden – insbesondere durch Heranziehung anderer Vorschriften desselben Gesetzes und durch Berücksichtigung des Normzusammenhangs – oder aufgrund einer gefestigten Rechtsprechung eine zuverlässige Grundlage für die Auslegung und Anwendung der Norm gewinnen lässt, so dass der Normadressat die Möglichkeit hat, den durch die Strafnorm geschützten Wert sowie das Verbot bestimmter Verhaltensweisen zu erkennen und die staatliche Reaktion vorauszusehen (BVerfG, NJW 1978, 101; NJW 1978, 1423, BVerfG, Beschluss vom 29.04.10 2 BvR 871/04, 2 BvR 414/08, -juris -). Auch wenn es in Grenzfällen zweifelhaft ist, ob ein Verhalten noch unter den gesetzlichen Tatbestand fällt oder nicht, so muss der Normadressat aber jedenfalls im Normalfall anhand der gesetzlichen Regelung voraussehen können, ob ein Verhalten ordnungswidrig ist (BVerfG, NJW 2010, 754; NJW 1986, 1671, 1672). Unter diesem Aspekt ist für die Bestimmtheit einer Strafvorschrift in erster Linie der für den Adressaten erkennbare und verstehbare Wortlaut des gesetzlichen Tatbestandes maßgeblich (BVerfG, NJW 2010, 754; BVerfG, NJW 1986, 1671, 1672). Nur in der dadurch gesetzten Grenze der Auslegung können daneben auch systematische, historische und teleologische Auslegung herangezogen werden (BVerfG, NJW 2010, 754; NJW 1978, 101; NJW 1978, 1423, BVerfG, Beschluss vom 29.04.10 2 BvR 871/04 und 2 BvR 414/08, Rz. 55, – juris -).
 
bb) Gemessen an diesen Grundsätzen genügt der Bußgeldtatbestand der §§ 24 StVG, 2 Abs. 3 a S. 1, 2, 49 Abs. 1 Ziff. 2 StVO dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG nicht.
In § 2 Abs. 3 a S. 1 StVO wird die Pflicht des Kraftfahrers normiert, die Ausrüstung seines Fahrzeuges an die Wetterverhältnisse anzupassen. Dazu gehört gemäß § 2 Abs. 3 a S. 2 StVO insbesondere eine geeignete Bereifung. Ordnungswidrig handelt gem. § 49 Abs. 1 Ziff. 2 StVO, wer gegen diese Pflicht verstößt.
Wann ein solcher Verstoß vorliegt, d.h. was eine nicht geeignete Bereifung in diesem Sinn ist, ergibt sich aus der Norm selber nicht. Anhand des reinen Wortlauts des § 2 Abs. 3 a S. 1 und 2 StVO kann der Fahrer eines Kraftwagens nicht erkennen, was von ihm verlangt wird. Das Tatbestandsmerkmal „der an die Wetterverhältnisse angepassten, geeigneten Bereifung“ nennt keine konkrete Bereifung für jeweils genau bezeichnete Wetterverhältnisse. Es stellt deshalb einen unbestimmten, wertausfüllungsbedürftigen Begriff dar (so auchSchubert , DAR 2006, 109, 117; König , in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, Kommentar, 40. Aufl. 2008, § 2 StVO Rn. 72 a).
Diese Ausfüllung lässt sich nicht aus anderen Normen ableiten. Weder gesetzliche noch technische Vorschriften regeln, welche Eigenschaften Reifen für bestimmte Wetterverhältnisse haben müssen. Dies gilt auch für Winterreifen. Diese finden zwar in der StVZO Erwähnung – sie werden in § 36 Abs. 1 S. 3 StVZO mit M+S Reifen gleich gesetzt. Erwähnt werden sie auch in § 18 BOKraft (auf den mehrere Landesgesetze verweisen) sowie in dem „Anforderungskatalog für Kraftomnibusse und Kleinbusse, die zur Beförderung von Schülern und Kindergartenkindern besonders eingesetzt werden“ des Bundesministeriums für Verkehr-, Bau- und Wohnungswesen (Fassung vom 14.07.2005, Verkehrsblatt 2005, S. 604, zitiert nach Schubert, Die neue „Winterreifenpflicht“ in der StVO, DAR 2006, 112). Sonstige Vorschriften, denen sich nähere Eigenschaften eines Winterreifens entnehmen ließen, existieren aber nicht. Was ein M+S Reifen ist, ist gleichfalls weder durch gesetzliche noch durch technische Vorschriften geregelt. M+ S steht für „Matsch und Schnee“ (englisch mud and snow) und soll – vereinfacht – die besondere Wintertauglichkeit eines Reifens kennzeichnen. Die M+S Kennzeichnung soll erkennbar machen, dass es sich gemäß der Richtlinie des Rates über Reifen von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern und über ihre Montage vom 31.03.1992 (92/23/EWG) um Reifen handelt, „bei denen das Profil der Lauffläche und die Struktur so konzipiert sind, dass sie vor allem in Matsch und frischem oder schmelzendem Schnee bessere Fahreigenschaften gewährleisten als normale Reifen. Das Profil der Lauffläche der M+S Reifen ist im Allgemeinen durch größere Profilrillen und/oder Stollen gekennzeichnet, die voneinander durch größere Zwischenräume getrennt sind, als dies bei normalen Reifen der Fall ist“ (zitiert nachSchubert a.a.O.). Die Verwendung des M+S Symbols unterliegt jedoch keiner Prüfung und Kontrolle und genießt daher keinerlei Schutz. Auch eine M+S Kennzeichnung ermöglicht deshalb keine gesicherte Aussage zur tatsächlichen Wintertauglichkeit ( Schubert aaO).
Eine gefestigte Rechtsprechung zu der Frage der „geeigneten Bereifung“ i.S.v. § 2 Abs. 3 a S. 1 und 2 StVO, der durch die Vierzigste Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 22.12.2005 am 01.05.2006 in Kraft getreten ist, hat sich nicht einmal ansatzweise gebildet. Entscheidungen, in denen auf die Frage, welche Reifen wann geeignet oder ungeeignet sind, eingegangen wird, sind – soweit ersichtlich – bislang nicht veröffentlicht worden. Auch der Senat sieht sich mit Blick auf die nachfolgenden Ausführungen nicht zu dieser notwendigen Konkretisierung in der Lage. Denn andernfalls würde er eine nicht ihm, sondern dem Verordnungsgeber obliegende Entscheidung nachholen.
Durch die juristische Fachliteratur hat sich keine konkretere, übereinstimmende Auslegung des § 2 Abs. 3 a S. 1 und 2 StVO herausgebildet. Zwar wird die Frage, was eine „an die Wetterverhältnisse angepasste, geeignete Bereifung“ ist, in der Literatur diskutiert (vgl. dazu Albrecht , SVR 2006, 41 ff.; Burhoff , ZAP 2006, Fach 9, 785 ff = S. 639 ff; Engelbrecht / Seutter , DAR 2006, 109 ff.; König , aaO; Schubert , aaO.). Diese Diskussion konnte jedoch keine Klärung herbeiführen. Einigkeit besteht nur in der Annahme, dass § 2 Abs. 3 a S. 1 und 2 StVO keine generelle Winterreifenpflicht in den Wintermonaten normiert (vgl. Albrecht , aaO, S. 41; Burhoff , aaO, S. 639;Engelbrecht / Seutter , aaO, S. 109; König , aaO, Rn. 72 a; Schubert , aaO, S. 114). Diese Annahme lässt sich zum einen daraus ableiten, dass § 2 Abs. 3 a S. 1 und 2 StVO eine an die Wetterverhältnisse angepasste, geeignete Bereifung verlangt und somit auf möglicherweise kurzzeitige konkrete und aktuelle Wetterlagen abstellt. Andererseits wird der Begriff des Winterreifens nicht verwendet, obwohl er als Rechtsbegriff in § 36 Abs. 1 S. 3 StVZO definiert ist. Es kann deshalb allenfalls von einer situationsbezogenen Winterreifenpflicht gesprochen werden (vgl. dazu insbesondere Schubert , aaO, S. 114).
Der darüber hinausgehende Gehalt ist streitig. Teilweise wird die Regelung des § 2 Abs. 3 a S. 1 und 2 StVO als durchaus praktikabel angesehen und als Sommerreifenverbot bei winterlichen Straßenverhältnissen verstanden (vgl. Albrecht aaO, S. 42; Burhoff , ZAP NR. 122 vom 22.6.2006, S. 639; ADAC am 7.1.2010 in http://www1.adac.de/Recht_Rat/Verkehrsrecht/winterthemen/winterreifenpflicht; Burmann/Heß/Jahnke/Janker , StVR, 21. Aufl., § 2 StVO Rn. 54; ). Nach dieser Ansicht ist ausreichend klar, dass bei winterlicher Witterung nur Winterreifen geeignete Reifen seien. Es handele sich dabei um Reifen mit weicherer Gummimischung und einem größeren Profil, die für den Nutzer an der Bezeichnung „M+S“ oder „Winter“ erkennbar seien ( Albrecht , aaO; Burhoff a.a.O.). Zweifelsfälle – bspw. wenn ein Fahrzeug ohne Winterreifen sich bei getautem Schnee unauffällig auf der Straße bewege – könnten über den im Bußgeldverfahren geltenden Opportunitätsgrundsatz gelöst werden ( Albrecht , aaO, S. 42; Burhoff , aaO, S. 640).
Die damit verbundene Implikation, alle nicht als „M+S“ oder „Winterreifen“ gekennzeichneten Reifen seien für winterliche Witterungsverhältnisse ungeeignet, ist jedoch nicht haltbar.
Zwar wird man davon ausgehen können, dass mit „M+S“ oder mit dem Schneeflockensymbol gekennzeichnete Reifen i. S. des § 2 Abs. 3 a S. 1 und 2 StVO geeignet sind ( Schubert , a.a.O.). Bei den jährlich angelegten Reifentests, die vom ADAC durchgeführt werden und bei denen Maßstab für die Wintertauglichkeit das Fahrverhalten auf Schnee und Eis ist, war jedenfalls bis Ende 2005 kein „M+S“-Reifen oder Ganzjahresreifen bekannt geworden, der mit mangelhaft bewertet wurde (vgl. Schubert , aaO, S. 115 f.). Allerdings ist auch hier keine scharfe Abgrenzung möglich, da die Kriterien, nach denen die Tests erfolgen, ihrerseits nicht normiert sind und von der – privaten – Testinstitution vorgegeben werden. In Anbetracht des in der Praxis bestehenden Konsenses dürfte dies allerdings insoweit unschädlich sein, als bei Verwendung eines Winterreifens in gutem Zustand kein Verstoß gegen § 2 Abs. 3 a StVO anzunehmen ist.
Ungeklärt durch Tests ist aber, ob auch Sommerreifen i. S. d. § 2 Abs. 3 a S. 1 und 2 StVO geeignet sein können. Bisher existieren keine gesicherten Erkenntnisse darüber, dass alle Reifen ohne „M+S“ Kennzeichnung winteruntauglich und damit im Sinne von § 2 Abs. 3 a S. 1 und 2 StVO nicht als für winterliche Wetterverhältnisse geeignete Bereifung angesehen werden könnten (vgl. Schubert , aaO, S. 116). Sogenannte Sommerreifen werden nämlich von vornherein kaum auf Schnee- und Glättetauglichkeit geprüft. Bei einem großen Winterreifentest 2005 wurden lediglich 2 Sommerreifen getestet. Diese waren auf Eis noch im Bereich der „geeigneten Bereifung“, auf Schnee erwiesen sie sich jedoch mit der Note „mangelhaft“ als ungeeignete Bereifung (vgl. Schubert , aaO., S. 116). Auch in den folgenden Jahren hat sich an der Struktur der Reifentests nichts geändert; Sommerreifen werden weiterhin kaum auf Wintertauglichkeit untersucht (vgl. dazu beispielsweise die Einteilung der Reifentests in Sommerreifen- und Winterreifentest auf der Homepage des ADAC). Statistisch aussagekräftige Daten zur Eignung oder Nichteignung von Sommerreifen liegen deshalb nicht vor. Es gibt damit weder einen naturwissenschaftlichen noch einen vergleichbaren Erfahrungssatz, nach dem Sommerreifen bei winterlichen Straßenverhältnissen grundsätzlich ungeeignet sind ( Schubert, a.a.O. S. 116;König , a.a.O.)
Da die Eigenschaften von Winterreifen nicht gesetzlich oder technisch normiert sind, und bereits die Kriterien entsprechender Reifentests nicht verallgemeinert sind, sondern von den – privaten – Testern selbst festgelegt werden, ist es auch nicht möglich, die fehlende Eignung bei Eis und Schnee durch Abweichung von Mindestanforderungen an Winterreifen zu definieren. Es bestehen somit weder Material- oder Formvorgaben, noch bestimmte Mindestqualitäten (bestimmte Bremswege bei definierten Standardsituationen), bei deren Nichterfüllung ein Verstoß gegen § 2 Abs. 3 a StVO vorläge. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens – wie von König (a.a.O. a.E.) vorgeschlagen – ist wegen Fehlen eines Vergleichsmaßstabes deshalb nicht möglich (vgl. auch König a.a.O., der gleichfalls die Frage, welcher Vergleichsmaßstab gelte, für problematisch hält).
Dementsprechend hat sich im Adressatenkreis der Kraftfahrer kein eindeutiges Verständnis gebildet; die gegenwärtige Regelung wird teilweise ausdrücklich als unklar oder schwammig bezeichnet. So fand sich am 19.01.2010 auf der Homepage des ADAC auf der Seite „ADAC-Empfehlung zur „Winterreifenverordnung““ (http://www1.adac.de/Tests/ Reifentests/Winterreifen/ neue_Winterreifenverordnung /de) folgende Aussage: „Wie genau aber sieht eine „an die Wetterverhältnisse angepasste Ausrüstung“ aus? Noch immer fehlt dazu eine klar definierte Norm …“. Anschließend empfiehlt der ADAC Winterreifen mit M+S oder Schneeflockensymbol, aber auch sog. „Ganzjahresreifen“ mit dieser Kennzeichnung, die in schneearmen Regionen als Kompromiss gelten könnten. Auch wenn die StVO lediglich eine Restprofiltiefe von 1,6 mm vorschreibe, sollten Winterreifen eine Profiltiefe von 4 mm nicht unterschreiten. Man solle sich an den Reifentests des ADAC orientieren. Nicht jeder Winter- oder Ganzjahresreifen sei gleichermaßen für alle Einsatzbedingungen geeignet. Auch die Homepage der Bayerischen Polizei gibt die komplexe Lage – keine Festlegung in der StVO, keine Kontrolle der Bezeichnung „M+S“, gesetzliche Mindestprofiltiefe von 1,6 mm nicht ausreichend – wieder (http://www.polizei.bayern.de/verkehr/index.html/ 25491). In der Nordwestzeitung (Oldenburg) fand sich am 05.11.2009 in dem Artikel „Heiße Tage für den Reifenhandel“ folgender Text:
„…mancher Autofahrer meinte, mit Sommerreifen durch den norddeutschen Winter zu kommen. Damit bewegte er sich zumindest rechtlich auf sicherem Boden: Eine Pflicht zur Winterbereifung gibt es nämlich nicht. § 2 der StVO schreibt lediglich vor, dass Autos den Wetterverhältnissen angepasst sei müssen. „Eine schwammige Regelung“, meint Ulf Peters, Abteilungsleiter Schaden bei der „Öffentlichen“ [Versicherung] in Oldenburg. Reifenfachfrau Eiting sieht das ähnlich …“.
Auch unter Heranziehung der systematischen, historischen und teleologischen Auslegung lässt sich der Norminhalt des Bußgeldtatbestandes der §§ 24 StVG, 2 Abs. 3 a S. 1, 2, 49 Abs. 1 Ziff. 2 StVO nicht hinreichend bestimmen.
Die inhaltliche Neuregelung der Sätze 1 und 2 geht auf einen Beschluss der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren (IMK) vom 20./21.11.2003 in Jena zurück, wonach die IMK beschlossen hatte, „den BMI zu bitten, an den BMVBW heranzutreten, und diesen zu bitten, im Zuge der geplanten Neufassung der StVO (Projekt: „Bürgernahe und verständliche StVO“) eine deutlichere Hervorhebung der bestehenden – und durch Auslegung der geltenden Vorschriften ermittelten – Verhaltenspflichten der Fahrzeugführer bei winterlichen Straßenverhältnissen zu prüfen“ (Beschluss veröffentlicht unter: www.berlin.de/sen/inneres/imk/beschluesse. html#IMK_2003). Der Beschluss beruhte maßgeblich auf Forderungen des bayerischen Innenministers, Sanktionen für das Autofahren ohne Winterreifen einzuführen ( Schubert, a.a.O. S. 112). Die amtliche Begründung der Neuregelung nimmt in erster Linie auf den IMK-Beschluss Bezug und führt ergänzend lediglich aus: „Insbesondere soll dem bei extremen winterlichen Straßenverhältnissen auftretenden Missstand begegnet werden, dass Kraftfahrzeuge und besonders auch LKW mangels geeigneter Winterbereifung liegen bleiben und damit erhebliche Verkehrsbehinderungen verursachen. Damit solle auch die Pflicht klar gestellt werden, bei plötzlich auftretenden winterlichen Wetterverhältnissen und unzureichender Winterausrüstung auf die Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr zu verzichten (BR-Drs. 813/05, S. 12). Sowohl der IMK-Beschluss als auch die Verordnungbegründung vermeiden also – trotz der ursprünglichen Forderung nach einer Winterreifenpflicht – eine konkrete Festlegung auf Winterreifen oder sonst näher beschriebene Reifen, wollten also keine allgemeine Winterreifenpflicht für Wintermonate begründen ( Engelbrecht / Seutter , aaO, S. 110).Dies kann nicht darin begründet sein, dass der Verordnungsgeber eine Konkretisierung vermeiden wollte, weil die Eigenschaften eines Winterreifens nicht gesetzlich oder international präzisiert sind (so aber Albrecht , a.a.O., S. 41, Burhoff , a.a.O., S. 639). Denn der Begriff des Winterreifens ist immerhin in § 36 StVZO definiert; die Verwendung von Winterreifen wird in § 18 BOKraft (auf die in mehreren Landesvorschriften Bezug genommen wird) ausdrücklich für Fahrzeuge im Personenverkehr vorgeschrieben, wobei ein Verstoß gegen die Pflicht, Winterreifen mitzuführen, gem. § 45 BOKraft ebenfalls eine Ordnungswidrigkeit darstellt. Auch kann nach dem „Anforderungskatalog für Kraftomnibusse und Kleinbusse, die zur Beförderung von Schülern und Kindergartenkindern besonders eingesetzt werden“ des Bundesministeriums für Verkehr-, Bau- und Wohnungswesen (Fassung vom 14.7.2005, Verkehrsblatt 2005, S. 604, zitiert nach Schubert a.a.O.)ein Schulträger für Schulbusse eine zeitlich befristete Ausrüstung mit Winterreifen (M+S) vorschreiben. Der Normgeber hatte also in anderen Bereichen keine Bedenken, die Benutzung von Winterreifen vorzuschreiben. Nimmt man hinzu, dass mit der Vorschrift eine bürgernahe Regelung getroffen werden sollte, so ist nicht nachvollziehbar, warum der Begriff des Winterreifens nicht verwendet wurde, sei es in der Form einer Verwendungspflicht bei winterlichen Wetterverhältnissen, sei es in Form eines Verbots, bei winterlichen Wetterverhältnissen ohne Winterreifen zu fahren.
Entgegen der Auffassung des Normgebers ließ sich auch vor der Neuregelung keine entsprechende Pflicht zur Anpassung der Ausrüstung aus anderen Vorschriften ableiten. Zwar wird der Verordnungsbegründung folgend vertreten, § 2 Abs. 2 StVO schreibe die bestehende Rechtslage fest ( Albrecht , aaO, S. 41, der diese Forderung aus dem allgemeinen Verbot der Schädigung, Gefährdung, Behinderung und Belästigung anderer und damit aus § 1 Abs. 2 StVO und ferner aus §§ 2 Abs. 3 a a.F., 3 Abs. 1 , 23 Abs. 1 StVO ableitet; Burmann/Heß/Jahnke/Jankera.a.O.). Es gab jedoch weder nach der StVO noch nach anderen Rechtsquellen eine Pflicht, bei winterlichen Verhältnissen speziell dafür geeignete Reifen zu benutzen und ansonsten auf die Teilnahme am Straßenverkehr zu verzichten. Sie ließ sich nicht aus dem allgemeinen Belästigungsverbot oder aus §§ 2 Abs. 3 a a.F., 3 Abs. 1, 23 Abs. 1 StVO ableiten (so aber Albrecht , aaO, S. 41). § 1 StVO stellt auf vermeidbare Beeinträchtigungen anderer ab. Soweit ersichtlich, verstand hierunter bis zum Inkrafttreten des § 2 Abs. 3 a StVO n.F. niemand die Pflicht, Winterreifen aufzuziehen, um bei Eis und Schnee etwas schneller fahren zu können und dadurch die Beeinträchtigungen anderer durch langsames Fahren zu vermeiden. § 2 Abs. 3 a StVO a.F. bezog sich allein auf Führer kennzeichnungspflichtiger KFZ mit gefährlichen Gütern. § 3 Abs. 1 StVO regelt allein die Geschwindigkeit. Straßenverkehrsrechtlich war es also grundsätzlich nicht verboten, auch unter winterlichen Wetterbedingungen z.B. mit sogenannten Sommerreifen zu fahren, solange dabei die Grundregeln nach § 1 StVO eingehalten wurden, d.h. solange wegen der längeren Bremswege und geringeren Spurtreue entsprechend langsamer und vorsichtiger gefahren wurde ( Schubert , a.a.O. S. 113).
Die Verordnungsbegründung (a.a.O.) wirft im Übrigen weitere Zweifel hinsichtlich ihrer Reichweite auf. Aus dem Wortlaut der Norm und dem Normzusammenhang des § 2 Abs. 3 a S. 1 und 2 StVO ergibt sich keinerlei Einschränkung dahingehend, dass nur besondere winterliche Wetterverhältnisse zu berücksichtigen seien, so dass eine einschränkende Auslegung unter Berufung auf die Entstehung der Norm nicht möglich ist. Bei warmen Temperaturen könnte – im Hinblick auf die unterschiedliche Gummimischung und Profilierung von Sommer- und Winterreifen – ein Reifen ohne „M+S“ Kennzeichnung der geeignetere sein, so dass derjenige, der im warmen Frühjahr oder Herbst noch bzw. schon mit Winterreifen fährt, eine Ordnungswidrigkeit begehen könnte. Erst recht unklar ist die Situation bei niedrigen Temperaturen über dem Gefrierpunkt: ADAC-Tests haben gezeigt, dass die Bremswege von Sommer- und Winterreifen auf trockener und nasser Fahrbahn kein einheitliches Bild ergeben. Einzelne Winterreifen verursachen dann sogar längere Bremswege als Sommerreifen ( Schubert a.a.O. S. 113).
Für den Bürger als Normadressat von § 2 Abs. 3 a StVO ist nicht erkennbar, ob und gegebenenfalls welche Reifen bei welchen Wetterverhältnissen als ungeeignet anzusehen sind (so auch Schubert, a.a.O. S. 116; vgl. auch König a.a.O. a.E.).
Diese Unklarheit wäre vermeidbar gewesen. Der Verordnungsgeber hätte die mit der Neuregelung des § 2 Abs. 3 a S. 1 und 2 StVO verfolgten Ziele auch durch eine eindeutige Norm erreichen können. Ziel der Neuregelung war, die Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs auch bei „extremen“ winterlichen Wetterverhältnissen zu gewährleisten und für den Bürger verständliche Verhaltensanweisungen zu geben (BR-Drs. 813/05 S. 12). Anders als bei der allgemeinen Auffangregel des § 1 StVO wäre hier die Verwendung konkreter Begriffe möglich gewesen. Die „Wetterverhältnisse“ hätten auf z.B. „Wetterverhältnisse, bei denen Eis und/oder Schnee möglich sind“ beschränkt werden können. Für diese Wetterverhältnisse hätte dann wie in § 18 BOKraft vorgeschrieben werden können, dass nur mit – i.d. Praxis allgemein für geeignet gehaltenen, s. dazu oben – Winterreifen gefahren werden dürfe. Ist aber die Erreichung eines Normziels mit bestimmten Begriffen möglich, so ist die Verwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs unzulässig (MüKo-StGB- Schmitz , 1. Aufl. 2003, § 1 Rn. 44 m. w. Nw.).
Da der Bußgeldtatbestand gem. §§ 24 StGB, 2 Abs. 3 a S. 1, 2 , 49 Abs. 1 Ziff. 2 StVO seinem Wortlaut nach unbestimmt ist, durch andere Gesetze oder technische Vorschriften nicht konkretisiert wird, kein klares Verständnis seines Inhalts in Rechtsprechung und im Adressatenkreis besteht und da das Ziel der Regelung auch durch bestimmte Rechtsbegriffe hätte erreicht werden können, ist er wegen Verstoßes gegen Art. 103 GG ungültig.
2. Damit ist dem Betroffenen allein ein fahrlässiger Verstoß gegen das Gebot, insbesondere bei Eisglätte auf den Straßen mit den Straßen- und Wetterverhältnissen angepasster Geschwindigkeit zu fahren, zur Last zu legen (§§ 3 Abs. 1 S. 1, S. 2, 49 Abs. 1 Nr. 3 StVO, Bußgeldkatalog Ziff. 8.1.). Über die für diesen Verstoß festzusetzende Geldbuße kann der Senat gem. § 79 Abs. 6 OWiG selbst entscheiden. Zwar hat das Amtsgericht keine Ausführungen zur Zumessung gemacht. Diese sind aber für die Entscheidung des Senats entbehrlich, da hier die Regelbuße von 50,- € (Bußgeldkatalog i.d.F. bis zum 31.1.2009) festgesetzt werden kann.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, § 473 Abs. 4 StPO.

§ 2 Absatz 3a Satz 1 und 2 Straßenverkehrsordnung (StVO) regelt:

„Bei Kraftfahrzeugen ist die Ausrüstung an die Wetterverhältnisse anzupassen. Hierzu gehören insbesondere eine geeignete Winterbereifung und Frostsschutzmittel in der Scheibenwaschanlage.“

§ 49 Absatz 1 Ziffer 2 StVO bestimmt, dass wer vorsätzlich oder fahrlässig gegen die Vorschrift über „die Straßenbenutzung durch Fahrzeuge nach § 2“ handelt, eine Ordnungswidrigkeit begeht, die mit einem Bußgeld geahndet werden kann.

Voraussetzungen für eine Strafbarkeit bzw. einer Ordnungswidrigkeit müssen konkret umschrieben sein und dürfen nicht durch Auslegung ermittelt werden

 

Das Oberlandesgerichtentschied, dass die Vorschrift des § 2 Abs. 3a S. 1 und 2 in Verbindung mit § 49 Abs. 1 Ziff. 2 StVO gegen das verfassungsmäßig gebotene Bestimmtheitsgebot verstoße. Nach Art. 103 Abs. 2 Grundgesetz sei der Gesetzgeber verpflichtet, die Voraussetzungen für eine Strafbarkeit bzw. einer Ordnungswidrigkeit so konkret zu umschreiben, dass der Anwendungsbereich für den Einzelnen erkennbar sei oder sich durch Auslegung ermitteln lasse.

Fahren mit Sommerreifen im Winter ohne Verkehrsgefährdung bleibt sanktionslos

Durch diese Entscheidung wird nicht in Frage gestellt, dass bei winterlichen Temperaturen, insbesondere aber bei Schnee und Eis, M+S Reifen oder Reifen mit Schneeflockensymbol benutzt werden sollten, um Unfälle möglichst zu vermeiden. Wer sich anders verhält, riskiert nicht nur haftungs- und versicherungsrechtliche Nachteile, ihm droht darüber hinaus – vor allem wenn andere bei einem Verkehrsunfall verletzt werden – weiter die Verfolgung wegen einer Straftat bzw. Ordnungswidrigkeit. Das Fahren mit Sommerreifen im Winter, das zu keiner konkreten Verkehrsgefährdung führt, bleibt aber sanktionslos.

Für weitere Informationen

Rechtsanwalt Michael Erath

Fachanwalt für Strafrecht
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Mobiltelefon als Navi verboten

Nutzung des Mobiltelefons als Navigationshilfe verboten

Verstoßes gemäß § 23 Abs. 1a StVO

Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 18.02.2013
– III-5 RBs 11/13 –

Dem vorzuliegenden Fall liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der 29jährige Betroffene aus Holzwickede hatte während einer Fahrt in Essen mit seinem Pkw ein Mobiltelefon in der Hand gehalten und auf dieses getippt, um es als Navigationsgerät zu nutzen. Dabei hatte er eine neben ihm befindliche Polizeistreife nicht bemerkt. Gegen die vom Amtsgericht gegen ihn wegen Verstoßes gegen § 23 Abs. 1a Straßenverkehrsordnung (StVO) ausgeurteilte Geldbuße von 40 Euro hatte er u.a. eingewandt, das Verbot dieser Vorschrift erfasse nicht die Benutzung des Mobiltelefons als Navigationshilfe.

Autofahrer müssen beide Hände für die Fahraufgabe zur Verfügung haben

Das Oberlandesgericht Hamm hat die Bußgeldentscheidung des Amtsgerichts Essen bestätigt.

Das Amtsgericht habe rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der Betroffene sein Mobiltelefon während der Fahrt in der rechten Hand vor sein Gesicht gehalten und dabei zugleich getippt habe. Auch wenn er mit dem Gerät nicht telefoniert, sondern dieses nur als Navigationsgerät genutzt habe, sei dies eine gemäß § 23 Abs. 1a StVO verbotene „Benutzung“. Eine solche liege in jeder bestimmungsgemäßen Bedienung des Geräts, mithin auch in dem Abruf von Navigationsdaten. Nach dem Willen des Gesetzgebers solle die Vorschrift des § 23 Abs. 1a StVO gewährleisten, dass der Fahrzeugführer beide Hände frei habe, um die „Fahraufgabe“ zu bewältigen, während er ein Mobiltelefon benutze. Deswegen sei jegliche Nutzung des Geräts untersagt, soweit das Mobiltelefon in der Hand gehalten werde, weil der Fahrzeugführer dann nicht beide Hände für die Fahraufgabe zur Verfügung habe.

Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 18.02.2013
– III-5 RBs 11/13 –

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Fußgänger stellt sich Motorradfahrer in den Weg

Oberlandesgericht Koblenz, Urteil vom 15.10.2012 – 12 U 819/11

Nach Aussage eines Zeugen stand der Fußgänger mitten auf dem nur 2,40 Meter schmalen Schotterweg. Der Motorradfahrer sah zwar den mit der Faust drohenden und sichtlich aufgeregten Mann, versuchte aber dennoch an dem Fußgänger rechts vorbeizufahren, weil er keinen Ärger wollte. Der Fußgänger machte aber einen Schritt Richtung Motorrad und es kam zur Kollision.

Dabei verletzte sich der Fußgänger das rechte Schienenbein und erlitt eine rechtsseitige Rippenfraktur im hinteren seitlichen Bereich des Brustkorbs. Ein Verletzungsbild, das nach Feststellung eines Gutachters in allen Details den vom Zeugen geschilderten Unfallhergang belegt. Während der betroffene Fußgänger jedoch behauptet, fernab von der Fahrspur in der Böschung gestanden zu haben. Weshalb ihn auch keinerlei Mitschuld an dem Malheur träfe.

 Stellt sich auf einem Feldweg ein Fußgänger vor ein heranfahrendes Motorrad und will es am Vorbeifahren hindern, trifft dem Fußgänger eine hälftige Mitschuld, wenn es zur Kollision kommt. Selbst wenn das Motorrad gar nicht für den öffentlichen Verkehr zugelassen war.

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Ladungssicherung

Der Verlader ist für die verkehrssichere Verstauung der Ladung verantwortlich.

Der § 22 der Straßenverkehrsordnung (StVO) verlangt, dass Ladung so zu verstauen und zu sichern ist, dass sie selbst bei Vollbremsung oder plötzlicher Ausweichbewegung nicht verrutschen, umfallen, hin- und herrollen, herabfallen oder vermeidbaren Lärm erzeugen kann. Dabei sind die anerkannten Regeln der Technik (z. B. VDI-Richtlinien 2700 ff) zu beachten.

Die VDI-Richtlinienreihe VDI 2700 „Ladungssicherung auf Straßenfahrzeugen“ gilt seit vielen Jahren als anerkanntes Grundlagenwerk der Ladungssicherung. In ihr wird beschrieben, welche Kräfte auf eine Ladung im Fahrbetrieb einwirken und wie Ladung grundsätzlich auf Straßenfahrzeugen gesichert werden kann.

Das Oberlandesgericht Stuttgart hat mit seinem Beschluss vom 27.12.1982 zu § 22 StVO entschieden, dass neben dem Fahrer auch der Verlader für die verkehrssichere Verstauung der Ladung verantwortlich ist.

Als Verlader ist hier der „Leiter der Ladearbeiten“ und für Gefahrgutbeförderungen die „Beauftragte Person des Verladers“ anzusehen, also die Person, die berechtigt ist, eigenverantwortliche Entscheidungen im Bereich der Verladung zu treffen.

Liegt keine spezielle einzelvertragliche Regelung vor, greift die Verantwortung des Vorgesetzten bis hin zur Geschäftsleitung. Das bedeutet, dass die Geschäftsleitung für die Ladungssicherung verantwortlich ist, wenn sie die Verantwortung nicht auf eine nachgeordnete Personen übertragen hat.

Der Verlader ist nach dem Gesetz zur Ladungssicherung verpflichtet. Die Verantwortung kann er nicht auf den Fahrer übertragen!

Die Verantwortung der Ladungssicherung liegt beim Fahrer, Halter und beim Verlader. Verstöße können im Bereich der Ordnungswidrigkeit  mit Bußgeldern in Höhe von 50 bis 150 Euro und 1 bis 3 Punkten im Verkehrsregister bestraft werden.

Eine Straftat (z. B. Verkehrsunfall mit Personenschaden) wird mit Geld- oder Freiheitsstrafe geahndet.

Die VDI-Richtlinienreihe VDI 2700 „Ladungssicherung auf Straßenfahrzeugen“ gilt seit vielen Jahren als anerkanntes Grundlagenwerk der Ladungssicherung. In ihr wird beschrieben, welche Kräfte auf eine Ladung im Fahrbetrieb einwirken und wie Ladung grundsätzlich auf Straßenfahrzeugen gesichert werden kann.

Die Richtlinien werden bei Überwachungsmaßnahmen der Verkehrspolizei, aber auch bei Streitfällen vor Gericht herangezogen.

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