Winterreifenpflicht ist verfassungswidrig

Oberlandesgericht Oldenburg, Urteil vom 09.07.2010 
– 2 SsRs 220/09 –

Das Oberlandesgerichtentschied, dass die Vorschrift des § 2 Abs. 3a S. 1 und 2 in Verbindung mit § 49 Abs. 1 Ziff. 2 StVO gegen das verfassungsmäßig gebotene Bestimmtheitsgebot verstoße. Nach Art. 103 Abs. 2 Grundgesetz sei der Gesetzgeber verpflichtet, die Voraussetzungen für eine Strafbarkeit bzw. einer Ordnungswidrigkeit so konkret zu umschreiben, dass der Anwendungsbereich für den Einzelnen erkennbar sei oder sich durch Auslegung ermitteln lasse.

Der Bußgeldtatbestand der §§ 49 Abs. 1 Nr. 2, 2 Abs. 3 a S. 1, 2 StVO ist wegen Verstoßes gegen das Bestimmtheitsgebot verfassungswidrig, soweit er einen Verstoß gegen das Gebot, ein Kraftfahrzeug mit einer an die Wetterverhältnisse angepassten, geeigneten Bereifung auszurüsten, ahndet.

OLG Oldenburg (Oldenburg) Senat für Bußgeldsachen, Beschluss vom 09.07.2010, 2 SsRs 220/09

§ 2 Abs 3a S 1 StVO, § 2 Abs 3a S 2 StVO, § 49 Abs 1 Nr 2 StVO, § 80 BVerfGG, Art 100 GG, Art 103 Abs 2 GG

Tenor

I. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hin wird das Urteil des Amtsgerichts Osnabrück vom 14.09.2009 im Schuld- und Rechtfolgenausspruch teilweise aufgehoben.
Gegen den Betroffenen wird eine Geldbuße von 50,- € wegen Fahrens mit nicht angepasster Geschwindigkeit (§ 24 StVG, §§ 3 Abs. 1 S. 1, S. 2, 49 Abs. 1 Nr. 3 StVO) festgesetzt.
Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird verworfen.
II. Der Betroffene hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen, jedoch werden die Gerichtsgebühren insoweit um die Hälfte ermäßigt. Die Landeskasse hat dem Betroffenen die Hälfte der notwendigen Auslagen, die im Rechtsbeschwerdeverfahren entstanden sind, zu erstatten.
 

Gründe


I. Gegen den Betroffenen wurde am 16.02.2009 eine Geldbuße von 85 € verhängt. Nach Einspruch des Betroffenen hat ihn das Amtsgericht Osnabrück durch Urteil vom 14.09.2009 zu einer Geldbuße in Höhe von 85,- Euro wegen Fahrens mit nicht angepasster Geschwindigkeit in Tateinheit mit Benutzung einer nicht an die Wetterverhältnisse angepassten und damit ungeeigneten Bereifung verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen befuhr der Betroffene am 22.11.2008 um 12.10 Uhr in B… den Verkehrsbereich … mit seinem Pkw Opel, auf dem neue Sommerreifen aufgezogen waren. Dabei überfuhr er eine Eisfläche und schlitterte in das Schaufenster eines gegenüberliegenden Geschäfts. Das Amtsgericht hat weiter festgestellt, dies sei geschehen, weil der Betroffene zum einen zu schnell gefahren sei und zum anderen, weil er keine für das Wetter angemessene Bereifung aufgezogen habe.
Das Amtsgericht hat die Feststellungen zur Bereifung wie folgt begründet:
„Fest steht auch aufgrund der Einlassungen, dass es an dem Tag kalt war und sich in der Mitte der Straße eine Eisfläche befand.
Damit hat das Gericht eine ausreichende Tatsachengrundlage für die Feststellungen der nicht angemessenen Ausrüstung. Insoweit kommt es gemäß § 2 Abs. 3 a S. 1 StVO auch nicht auf die Straßenverhältnisse der konkret befahrenen Straße, sondern auf die Wetterverhältnisse an. Allein der Umstand, dass sich eine Eisfläche auf der Straße befand, lässt hinreichend sicher darauf schließen, dass mit Glatteis zu rechnen war und die Temperaturen unter null Grad Celsius waren.
Insoweit ist es auch unerheblich, ob der Unfall auch mit Winterreifen passiert wäre, bzw. ob sich der Unfall auch mit Winterreifen ereignet hätte. Denn Winterreifen sind die für den Winter geeignete Bereifung. Sie sind auch geeigneter als Sommerreifen. Abzustellen ist auch nicht etwa auf die Frage, ob neue Sommerreifen besser fassen als alte, abgefahrene Winterreifen. Der Betroffene ist hier, wenn auch mit noch gut profilierten Sommerreifen gefahren, die nicht geeignet sind für das Fahren im Winter, wenn Glatteis auf der Straße ist.“
Der Betroffene hat gegen dieses Urteil mit anwaltlichem Schreiben vom 16.09.2009, eingegangen beim Amtsgericht Osnabrück am 17.09.2009, gemäß §§ 80 Abs. 3 S. 1 i. V. m. 79 Abs. 3 S. 1 OWiG i. V. m. §§ 341 Abs. 1, 43 Abs. 1 StPO fristgemäß beantragt, die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts bzw. zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen und mit diesem Antrag gemäß § 80 Abs. 3 S. 2 OWiG zugleich vorsorglich die Rechtsbeschwerde eingelegt. Auch die Begründungsschrift zum Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde wurde gemäß §§ 80 Abs. 3 S. 1 i. V. m. 79 Abs. 3 S. 1 OWiG i. V. m. §§ 345 Abs. 1 S. 1, 2, 43 Abs. 1 StPO fristgemäß beim Amtsgericht Osnabrück eingereicht, da dem ordnungsgemäß bevollmächtigten Verteidiger des Betroffenen das Urteil am 06.10.2009 zugestellt wurde und die Begründungsschrift am 06.11.2009 per Fax beim Amtsgericht Osnabrück eingegangen war.
Der Betroffene führt zur Begründung der Rechtsbeschwerde aus, es sei entgegen der Rechtsauffassung des Amtsgerichts anhand der konkreten Umstände zu ermitteln, welche Bereifung im Sinn des § 2 Abs. 3 a StVO tatsächliche die geeignete gewesen sei. Es hätte daher Feststellungen dazu bedurft, ob und inwieweit Winterreifen – ggf. welche? – hier den Unfall hätten verhindern helfen. Es gebe nämlich gerade keinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass auch bei winterlichen Straßenverhältnissen Winterreifen stets die bessere Wahl seien. Darüber hinaus ließen sich Situationen denken, bei denen der Unfall sich auch mit Winterreifen ereignet hätte. Das Amtsgericht hätte deshalb nicht aus eigener Sachkunde zu einer Verurteilung kommen dürfen, sondern hätte dem Beweisantritt in der Schutzschrift vom 06.02.2009 – Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache, dass es auch mit Winterreifen zu dem Unfall gekommen wäre – nachgehen müssen.
Die Generalstaatsanwaltschaft Oldenburg hat zu § 2 Abs. 3 a StVO in ihrer Stellungnahme ausgeführt:
„….enthält die erst am 01.05.2006 in Kraft getretene Vorschrift des § 2 Abs. 3 a StVO unbestimmte Rechtsbegriffe, die noch der obergerichtlichen Ausformung bedürfen (Hentschel-König, Straßenverkehrsrecht, 39. Aufl., § 2 StvO Rn. 72 a). So stellt sich im vorliegenden Fall die klärungsbedürftige und entscheidungserhebliche Rechtsfrage, was unter einer „geeigneten Bereifung“ zu verstehen ist. Der Beschwerdeführer ist der Auffassung, dass auch gut profilierte Sommerreifen bei winterlicher Witterung eine geeignete Bereifung darstellen. Die aufgeworfene Frage ist auch von praktischer Bedeutung und sollte daher grundsätzlich entschieden werden.
Im Falle ihrer Zulassung dürfte die Rechtsbeschwerde aber unbegründet sein. Die Auffassung des Amtsgerichts, dass nur Winterreifen die für das Fahren bei winterlichem Wetter geeignete Bereifung sind und es daher auf den Zustand der verwendeten Sommerreifen nicht im konkreten Fall nicht ankommt, verdient wohl Zustimmung.
Die Vorschrift des § 2 Abs. 3 a S. 1 + 2 StVO begründet allerdings nach ihrem Wortlaut keine „Winterreifenpflicht“ und gilt im Prinzip auch für alle Wetterverhältnisse. Gleichwohl zielt sie ersichtlich auf den Winter ab und ist auf ein „Sommerreifenverbot“ bei nennenswertem Schneefall (Hentschel-König aaO) , auf eine „situationsbezogene Winterreifenpflicht“ (Schubert, Die neue „Winterreifenpflicht“ in der StVO, DAR 2006, S. 112, 114) angelegt. Tests haben ergeben, dass Sommerreifen jedenfalls bei Schnee in der Regel eine „ungeeignete Bereifung“ darstellen und daher mit Sommerreifen bei drohendem Schneefall und erst recht bei und nach Schneefall nicht mehr gefahren werden darf (Schubert a.a.O S. 116). Gleiches dürfte für winterliche Wetterverhältnisse gelten, bei denen mit Glatteisbildung auf den Straßen zu rechnen ist. Erfahrungswerte sprechen dafür, dass ein reiner Sommerreifen mangels groben Profils und Lamellen mit Schnee und Eis nicht hinreichend zurecht kommt (Hentschel-König a.a.O.). Das häufig gehörte Argument, dass ein guter Sommerreifen unter Umständen bessere Wintereigenschaften hat als ein schlechter oder alter Winterreifen (vgl. Schubert a.a.O. S. 116), steht der hier vertretenen Auffassung nicht entgegen, weil ein „abgefahrener“ Winterreifen selbstverständlich ebenfalls keine geeignete Bereifung darstellt.“
Die Einzelrichterin des Senats hat die Rechtsbeschwerde durch Beschluss vom 19.01.2010 zur Fortbildung des Rechts gem. § 80 Abs.1 Nr.1, Abs. 2 Nr. 1 OWiG zugelassen und die Sache gem. § 80 a Abs. 3 OWiG auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
II. Der Senat hat nunmehr über die Begründetheit der Rechtsbeschwerde zu entscheiden.
 
1. Dem Betroffenen kann kein Verstoß gegen §§ 2 Abs. 3 a S. 1, 2, 49 Abs. 1 Ziff. 2 StVO zur Last gelegt werden. Dieser Bußgeldtatbestand der §§ 2 Abs. 3 a S. 1, 2, 49 Abs. 1 Ziff. 2 StVO ist verfassungswidrig und damit ungültig, soweit er den Verstoß gegen die Pflicht, eine den Wetterverhältnissen angepasste, geeignete Bereifung vorzunehmen, sanktioniert.
a) Hierüber kann der Senat selbst entscheiden. Das Bundesverfassungsgericht hat nach Art. 100 GG, § 80 BVerfGG ein Verwerfungsmonopol für formelle Gesetze. Für Rechtsverordnungen besteht eine solches Monopol nicht (BVerfGE 75, 166; BVerfGE 48, 40). § 2 Abs. 3 a StVO wurde durch Rechtsverordnung erlassen. Die Vorschrift wiederholt nicht den Inhalt eines formellen Gesetzes; die verfassungsrechtliche Bewertung des § 2 Abs. 3 a StVO entscheidet nicht zugleich über die Verfassungsmäßigkeit eines unmittelbar maßgeblichen formellen Gesetzes. Der Inhalt des § 2 Abs. 3 a StVO wird auch nicht von einer Norm des formellen Rechts vorausgesetzt (zu diesen Ausnahmekriterien vgl. BVerfGE 75, 166). Ein Vorlage an das Bundesverfassungsgericht wäre deshalb gem. Art.100 GG, § 80 BVerfGG unzulässig. Der Senat hat folglich selbst über die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Bußgeldtatbestandes gem. §§ 2 Abs. 3 a S. 1, 2, 49 Abs. 1 Ziff. 2 StVO zu entscheiden.
 
b) Der Bußgeldtatbestand der §§ 2 Abs. 3 a S. 1, 2, 49 Abs. 1 Ziff. 2 StVO verstößt gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG, soweit er den Verstoß gegen die Pflicht, eine den Wetterverhältnissen angepasste, geeignete Bereifung vorzunehmen, sanktioniert, und ist damit insoweit verfassungswidrig.
aa) Nach Art. 103 Abs. 2 GG kann eine Tat nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Art. 103 Abs. 2 GG verpflichtet den Gesetzgeber demnach, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen (BVerfGE 47, 109, 120 m.w. Nachw.; BVerfGE 55, 144, 152; BVerfG, Beschluss vom 29.04.10, 2 BvR 871/04, 2 BvR 414/08, – juris -). Der Einzelne soll auf diese Weise von vornherein wissen können, was strafrechtlich verboten ist, damit er in der Lage ist, sein Verhalten danach einzurichten (st. Rechtsprechung des BVerfG, vgl. nur BVerfG, NJW 1978, 1423 mwN). Dies gilt nicht nur für Straf-, sondern auch für Bußgeldtatbestände (vgl. BVerfG, NJW 2010, 754; NJW 1986, 1671), so dass auch der Bußgeldtatbestand der §§ 24 StVG, 2 Abs. 3 a S. 1, 2, 49 Abs. 1 Ziff. 2 StVO am Maßstab des Art. 103 Abs. 2 GG zu messen ist.
Die Verpflichtung des Art. 103 Abs. 2 GG dient einem doppelten Zweck. Es geht einerseits um den rechtsstaatlichen Schutz des Normadressaten: Jedermann soll vorhersehen können, welches Verhalten verboten und mit Strafe oder der Auferlegung eines Bußgeldes bedroht ist. Im Zusammenhang damit soll andererseits aber auch sichergestellt werden, dass der Gesetzgeber über die Strafbarkeit oder die Bußgeldvoraussetzungen entscheidet. Insoweit enthält Art. 103 Abs. 2 GG einen strengen Gesetzesvorbehalt, der es der vollziehenden und der rechtsprechenden Gewalt verwehrt, über die Voraussetzungen einer Bestrafung oder die Auferlegung eines Bußgeldes selbst zu entscheiden (BVerfGE 47, 109, 120; BVerfGE 75, 329, 340 f. = NJW 1987, 3175). Allerdings darf das Gebot der Gesetzesbestimmtheit nicht übersteigert werden. Die Gesetze würden sonst zu starr und kasuistisch und könnten der Vielgestaltigkeit des Lebens, dem Wandel der Verhältnisse oder der Besonderheit des Einzelfalles nicht mehr gerecht werden. Diese Gefahr läge nahe, wenn der Gesetzgeber stets jeden Tatbestand bis ins letzte ausführen müsste (BVerfGE 14, 245, 251). Das Strafrecht, und da Art. 103 Abs. 2 GG auch für Bußgeldtatbestände gilt, auch das Ordnungswidrigkeitenrecht, können deshalb nicht darauf verzichten, allgemeine Begriffe zu verwenden, die formal nicht allgemeingültig umschrieben werden können und mithin in besonderem Maße einer Deutung durch den Richter bedürfen (BVerfGE 11, 234, 237;BVerfG NJW 1978, 1423). Gegen die Verwendung derartiger Rechtsbegriffe bestehen jedenfalls dann keine Bedenken, wenn sich mit Hilfe der üblichen Auslegungsmethoden – insbesondere durch Heranziehung anderer Vorschriften desselben Gesetzes und durch Berücksichtigung des Normzusammenhangs – oder aufgrund einer gefestigten Rechtsprechung eine zuverlässige Grundlage für die Auslegung und Anwendung der Norm gewinnen lässt, so dass der Normadressat die Möglichkeit hat, den durch die Strafnorm geschützten Wert sowie das Verbot bestimmter Verhaltensweisen zu erkennen und die staatliche Reaktion vorauszusehen (BVerfG, NJW 1978, 101; NJW 1978, 1423, BVerfG, Beschluss vom 29.04.10 2 BvR 871/04, 2 BvR 414/08, -juris -). Auch wenn es in Grenzfällen zweifelhaft ist, ob ein Verhalten noch unter den gesetzlichen Tatbestand fällt oder nicht, so muss der Normadressat aber jedenfalls im Normalfall anhand der gesetzlichen Regelung voraussehen können, ob ein Verhalten ordnungswidrig ist (BVerfG, NJW 2010, 754; NJW 1986, 1671, 1672). Unter diesem Aspekt ist für die Bestimmtheit einer Strafvorschrift in erster Linie der für den Adressaten erkennbare und verstehbare Wortlaut des gesetzlichen Tatbestandes maßgeblich (BVerfG, NJW 2010, 754; BVerfG, NJW 1986, 1671, 1672). Nur in der dadurch gesetzten Grenze der Auslegung können daneben auch systematische, historische und teleologische Auslegung herangezogen werden (BVerfG, NJW 2010, 754; NJW 1978, 101; NJW 1978, 1423, BVerfG, Beschluss vom 29.04.10 2 BvR 871/04 und 2 BvR 414/08, Rz. 55, – juris -).
 
bb) Gemessen an diesen Grundsätzen genügt der Bußgeldtatbestand der §§ 24 StVG, 2 Abs. 3 a S. 1, 2, 49 Abs. 1 Ziff. 2 StVO dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG nicht.
In § 2 Abs. 3 a S. 1 StVO wird die Pflicht des Kraftfahrers normiert, die Ausrüstung seines Fahrzeuges an die Wetterverhältnisse anzupassen. Dazu gehört gemäß § 2 Abs. 3 a S. 2 StVO insbesondere eine geeignete Bereifung. Ordnungswidrig handelt gem. § 49 Abs. 1 Ziff. 2 StVO, wer gegen diese Pflicht verstößt.
Wann ein solcher Verstoß vorliegt, d.h. was eine nicht geeignete Bereifung in diesem Sinn ist, ergibt sich aus der Norm selber nicht. Anhand des reinen Wortlauts des § 2 Abs. 3 a S. 1 und 2 StVO kann der Fahrer eines Kraftwagens nicht erkennen, was von ihm verlangt wird. Das Tatbestandsmerkmal „der an die Wetterverhältnisse angepassten, geeigneten Bereifung“ nennt keine konkrete Bereifung für jeweils genau bezeichnete Wetterverhältnisse. Es stellt deshalb einen unbestimmten, wertausfüllungsbedürftigen Begriff dar (so auchSchubert , DAR 2006, 109, 117; König , in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, Kommentar, 40. Aufl. 2008, § 2 StVO Rn. 72 a).
Diese Ausfüllung lässt sich nicht aus anderen Normen ableiten. Weder gesetzliche noch technische Vorschriften regeln, welche Eigenschaften Reifen für bestimmte Wetterverhältnisse haben müssen. Dies gilt auch für Winterreifen. Diese finden zwar in der StVZO Erwähnung – sie werden in § 36 Abs. 1 S. 3 StVZO mit M+S Reifen gleich gesetzt. Erwähnt werden sie auch in § 18 BOKraft (auf den mehrere Landesgesetze verweisen) sowie in dem „Anforderungskatalog für Kraftomnibusse und Kleinbusse, die zur Beförderung von Schülern und Kindergartenkindern besonders eingesetzt werden“ des Bundesministeriums für Verkehr-, Bau- und Wohnungswesen (Fassung vom 14.07.2005, Verkehrsblatt 2005, S. 604, zitiert nach Schubert, Die neue „Winterreifenpflicht“ in der StVO, DAR 2006, 112). Sonstige Vorschriften, denen sich nähere Eigenschaften eines Winterreifens entnehmen ließen, existieren aber nicht. Was ein M+S Reifen ist, ist gleichfalls weder durch gesetzliche noch durch technische Vorschriften geregelt. M+ S steht für „Matsch und Schnee“ (englisch mud and snow) und soll – vereinfacht – die besondere Wintertauglichkeit eines Reifens kennzeichnen. Die M+S Kennzeichnung soll erkennbar machen, dass es sich gemäß der Richtlinie des Rates über Reifen von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern und über ihre Montage vom 31.03.1992 (92/23/EWG) um Reifen handelt, „bei denen das Profil der Lauffläche und die Struktur so konzipiert sind, dass sie vor allem in Matsch und frischem oder schmelzendem Schnee bessere Fahreigenschaften gewährleisten als normale Reifen. Das Profil der Lauffläche der M+S Reifen ist im Allgemeinen durch größere Profilrillen und/oder Stollen gekennzeichnet, die voneinander durch größere Zwischenräume getrennt sind, als dies bei normalen Reifen der Fall ist“ (zitiert nachSchubert a.a.O.). Die Verwendung des M+S Symbols unterliegt jedoch keiner Prüfung und Kontrolle und genießt daher keinerlei Schutz. Auch eine M+S Kennzeichnung ermöglicht deshalb keine gesicherte Aussage zur tatsächlichen Wintertauglichkeit ( Schubert aaO).
Eine gefestigte Rechtsprechung zu der Frage der „geeigneten Bereifung“ i.S.v. § 2 Abs. 3 a S. 1 und 2 StVO, der durch die Vierzigste Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 22.12.2005 am 01.05.2006 in Kraft getreten ist, hat sich nicht einmal ansatzweise gebildet. Entscheidungen, in denen auf die Frage, welche Reifen wann geeignet oder ungeeignet sind, eingegangen wird, sind – soweit ersichtlich – bislang nicht veröffentlicht worden. Auch der Senat sieht sich mit Blick auf die nachfolgenden Ausführungen nicht zu dieser notwendigen Konkretisierung in der Lage. Denn andernfalls würde er eine nicht ihm, sondern dem Verordnungsgeber obliegende Entscheidung nachholen.
Durch die juristische Fachliteratur hat sich keine konkretere, übereinstimmende Auslegung des § 2 Abs. 3 a S. 1 und 2 StVO herausgebildet. Zwar wird die Frage, was eine „an die Wetterverhältnisse angepasste, geeignete Bereifung“ ist, in der Literatur diskutiert (vgl. dazu Albrecht , SVR 2006, 41 ff.; Burhoff , ZAP 2006, Fach 9, 785 ff = S. 639 ff; Engelbrecht / Seutter , DAR 2006, 109 ff.; König , aaO; Schubert , aaO.). Diese Diskussion konnte jedoch keine Klärung herbeiführen. Einigkeit besteht nur in der Annahme, dass § 2 Abs. 3 a S. 1 und 2 StVO keine generelle Winterreifenpflicht in den Wintermonaten normiert (vgl. Albrecht , aaO, S. 41; Burhoff , aaO, S. 639;Engelbrecht / Seutter , aaO, S. 109; König , aaO, Rn. 72 a; Schubert , aaO, S. 114). Diese Annahme lässt sich zum einen daraus ableiten, dass § 2 Abs. 3 a S. 1 und 2 StVO eine an die Wetterverhältnisse angepasste, geeignete Bereifung verlangt und somit auf möglicherweise kurzzeitige konkrete und aktuelle Wetterlagen abstellt. Andererseits wird der Begriff des Winterreifens nicht verwendet, obwohl er als Rechtsbegriff in § 36 Abs. 1 S. 3 StVZO definiert ist. Es kann deshalb allenfalls von einer situationsbezogenen Winterreifenpflicht gesprochen werden (vgl. dazu insbesondere Schubert , aaO, S. 114).
Der darüber hinausgehende Gehalt ist streitig. Teilweise wird die Regelung des § 2 Abs. 3 a S. 1 und 2 StVO als durchaus praktikabel angesehen und als Sommerreifenverbot bei winterlichen Straßenverhältnissen verstanden (vgl. Albrecht aaO, S. 42; Burhoff , ZAP NR. 122 vom 22.6.2006, S. 639; ADAC am 7.1.2010 in http://www1.adac.de/Recht_Rat/Verkehrsrecht/winterthemen/winterreifenpflicht; Burmann/Heß/Jahnke/Janker , StVR, 21. Aufl., § 2 StVO Rn. 54; ). Nach dieser Ansicht ist ausreichend klar, dass bei winterlicher Witterung nur Winterreifen geeignete Reifen seien. Es handele sich dabei um Reifen mit weicherer Gummimischung und einem größeren Profil, die für den Nutzer an der Bezeichnung „M+S“ oder „Winter“ erkennbar seien ( Albrecht , aaO; Burhoff a.a.O.). Zweifelsfälle – bspw. wenn ein Fahrzeug ohne Winterreifen sich bei getautem Schnee unauffällig auf der Straße bewege – könnten über den im Bußgeldverfahren geltenden Opportunitätsgrundsatz gelöst werden ( Albrecht , aaO, S. 42; Burhoff , aaO, S. 640).
Die damit verbundene Implikation, alle nicht als „M+S“ oder „Winterreifen“ gekennzeichneten Reifen seien für winterliche Witterungsverhältnisse ungeeignet, ist jedoch nicht haltbar.
Zwar wird man davon ausgehen können, dass mit „M+S“ oder mit dem Schneeflockensymbol gekennzeichnete Reifen i. S. des § 2 Abs. 3 a S. 1 und 2 StVO geeignet sind ( Schubert , a.a.O.). Bei den jährlich angelegten Reifentests, die vom ADAC durchgeführt werden und bei denen Maßstab für die Wintertauglichkeit das Fahrverhalten auf Schnee und Eis ist, war jedenfalls bis Ende 2005 kein „M+S“-Reifen oder Ganzjahresreifen bekannt geworden, der mit mangelhaft bewertet wurde (vgl. Schubert , aaO, S. 115 f.). Allerdings ist auch hier keine scharfe Abgrenzung möglich, da die Kriterien, nach denen die Tests erfolgen, ihrerseits nicht normiert sind und von der – privaten – Testinstitution vorgegeben werden. In Anbetracht des in der Praxis bestehenden Konsenses dürfte dies allerdings insoweit unschädlich sein, als bei Verwendung eines Winterreifens in gutem Zustand kein Verstoß gegen § 2 Abs. 3 a StVO anzunehmen ist.
Ungeklärt durch Tests ist aber, ob auch Sommerreifen i. S. d. § 2 Abs. 3 a S. 1 und 2 StVO geeignet sein können. Bisher existieren keine gesicherten Erkenntnisse darüber, dass alle Reifen ohne „M+S“ Kennzeichnung winteruntauglich und damit im Sinne von § 2 Abs. 3 a S. 1 und 2 StVO nicht als für winterliche Wetterverhältnisse geeignete Bereifung angesehen werden könnten (vgl. Schubert , aaO, S. 116). Sogenannte Sommerreifen werden nämlich von vornherein kaum auf Schnee- und Glättetauglichkeit geprüft. Bei einem großen Winterreifentest 2005 wurden lediglich 2 Sommerreifen getestet. Diese waren auf Eis noch im Bereich der „geeigneten Bereifung“, auf Schnee erwiesen sie sich jedoch mit der Note „mangelhaft“ als ungeeignete Bereifung (vgl. Schubert , aaO., S. 116). Auch in den folgenden Jahren hat sich an der Struktur der Reifentests nichts geändert; Sommerreifen werden weiterhin kaum auf Wintertauglichkeit untersucht (vgl. dazu beispielsweise die Einteilung der Reifentests in Sommerreifen- und Winterreifentest auf der Homepage des ADAC). Statistisch aussagekräftige Daten zur Eignung oder Nichteignung von Sommerreifen liegen deshalb nicht vor. Es gibt damit weder einen naturwissenschaftlichen noch einen vergleichbaren Erfahrungssatz, nach dem Sommerreifen bei winterlichen Straßenverhältnissen grundsätzlich ungeeignet sind ( Schubert, a.a.O. S. 116;König , a.a.O.)
Da die Eigenschaften von Winterreifen nicht gesetzlich oder technisch normiert sind, und bereits die Kriterien entsprechender Reifentests nicht verallgemeinert sind, sondern von den – privaten – Testern selbst festgelegt werden, ist es auch nicht möglich, die fehlende Eignung bei Eis und Schnee durch Abweichung von Mindestanforderungen an Winterreifen zu definieren. Es bestehen somit weder Material- oder Formvorgaben, noch bestimmte Mindestqualitäten (bestimmte Bremswege bei definierten Standardsituationen), bei deren Nichterfüllung ein Verstoß gegen § 2 Abs. 3 a StVO vorläge. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens – wie von König (a.a.O. a.E.) vorgeschlagen – ist wegen Fehlen eines Vergleichsmaßstabes deshalb nicht möglich (vgl. auch König a.a.O., der gleichfalls die Frage, welcher Vergleichsmaßstab gelte, für problematisch hält).
Dementsprechend hat sich im Adressatenkreis der Kraftfahrer kein eindeutiges Verständnis gebildet; die gegenwärtige Regelung wird teilweise ausdrücklich als unklar oder schwammig bezeichnet. So fand sich am 19.01.2010 auf der Homepage des ADAC auf der Seite „ADAC-Empfehlung zur „Winterreifenverordnung““ (http://www1.adac.de/Tests/ Reifentests/Winterreifen/ neue_Winterreifenverordnung /de) folgende Aussage: „Wie genau aber sieht eine „an die Wetterverhältnisse angepasste Ausrüstung“ aus? Noch immer fehlt dazu eine klar definierte Norm …“. Anschließend empfiehlt der ADAC Winterreifen mit M+S oder Schneeflockensymbol, aber auch sog. „Ganzjahresreifen“ mit dieser Kennzeichnung, die in schneearmen Regionen als Kompromiss gelten könnten. Auch wenn die StVO lediglich eine Restprofiltiefe von 1,6 mm vorschreibe, sollten Winterreifen eine Profiltiefe von 4 mm nicht unterschreiten. Man solle sich an den Reifentests des ADAC orientieren. Nicht jeder Winter- oder Ganzjahresreifen sei gleichermaßen für alle Einsatzbedingungen geeignet. Auch die Homepage der Bayerischen Polizei gibt die komplexe Lage – keine Festlegung in der StVO, keine Kontrolle der Bezeichnung „M+S“, gesetzliche Mindestprofiltiefe von 1,6 mm nicht ausreichend – wieder (http://www.polizei.bayern.de/verkehr/index.html/ 25491). In der Nordwestzeitung (Oldenburg) fand sich am 05.11.2009 in dem Artikel „Heiße Tage für den Reifenhandel“ folgender Text:
„…mancher Autofahrer meinte, mit Sommerreifen durch den norddeutschen Winter zu kommen. Damit bewegte er sich zumindest rechtlich auf sicherem Boden: Eine Pflicht zur Winterbereifung gibt es nämlich nicht. § 2 der StVO schreibt lediglich vor, dass Autos den Wetterverhältnissen angepasst sei müssen. „Eine schwammige Regelung“, meint Ulf Peters, Abteilungsleiter Schaden bei der „Öffentlichen“ [Versicherung] in Oldenburg. Reifenfachfrau Eiting sieht das ähnlich …“.
Auch unter Heranziehung der systematischen, historischen und teleologischen Auslegung lässt sich der Norminhalt des Bußgeldtatbestandes der §§ 24 StVG, 2 Abs. 3 a S. 1, 2, 49 Abs. 1 Ziff. 2 StVO nicht hinreichend bestimmen.
Die inhaltliche Neuregelung der Sätze 1 und 2 geht auf einen Beschluss der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren (IMK) vom 20./21.11.2003 in Jena zurück, wonach die IMK beschlossen hatte, „den BMI zu bitten, an den BMVBW heranzutreten, und diesen zu bitten, im Zuge der geplanten Neufassung der StVO (Projekt: „Bürgernahe und verständliche StVO“) eine deutlichere Hervorhebung der bestehenden – und durch Auslegung der geltenden Vorschriften ermittelten – Verhaltenspflichten der Fahrzeugführer bei winterlichen Straßenverhältnissen zu prüfen“ (Beschluss veröffentlicht unter: www.berlin.de/sen/inneres/imk/beschluesse. html#IMK_2003). Der Beschluss beruhte maßgeblich auf Forderungen des bayerischen Innenministers, Sanktionen für das Autofahren ohne Winterreifen einzuführen ( Schubert, a.a.O. S. 112). Die amtliche Begründung der Neuregelung nimmt in erster Linie auf den IMK-Beschluss Bezug und führt ergänzend lediglich aus: „Insbesondere soll dem bei extremen winterlichen Straßenverhältnissen auftretenden Missstand begegnet werden, dass Kraftfahrzeuge und besonders auch LKW mangels geeigneter Winterbereifung liegen bleiben und damit erhebliche Verkehrsbehinderungen verursachen. Damit solle auch die Pflicht klar gestellt werden, bei plötzlich auftretenden winterlichen Wetterverhältnissen und unzureichender Winterausrüstung auf die Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr zu verzichten (BR-Drs. 813/05, S. 12). Sowohl der IMK-Beschluss als auch die Verordnungbegründung vermeiden also – trotz der ursprünglichen Forderung nach einer Winterreifenpflicht – eine konkrete Festlegung auf Winterreifen oder sonst näher beschriebene Reifen, wollten also keine allgemeine Winterreifenpflicht für Wintermonate begründen ( Engelbrecht / Seutter , aaO, S. 110).Dies kann nicht darin begründet sein, dass der Verordnungsgeber eine Konkretisierung vermeiden wollte, weil die Eigenschaften eines Winterreifens nicht gesetzlich oder international präzisiert sind (so aber Albrecht , a.a.O., S. 41, Burhoff , a.a.O., S. 639). Denn der Begriff des Winterreifens ist immerhin in § 36 StVZO definiert; die Verwendung von Winterreifen wird in § 18 BOKraft (auf die in mehreren Landesvorschriften Bezug genommen wird) ausdrücklich für Fahrzeuge im Personenverkehr vorgeschrieben, wobei ein Verstoß gegen die Pflicht, Winterreifen mitzuführen, gem. § 45 BOKraft ebenfalls eine Ordnungswidrigkeit darstellt. Auch kann nach dem „Anforderungskatalog für Kraftomnibusse und Kleinbusse, die zur Beförderung von Schülern und Kindergartenkindern besonders eingesetzt werden“ des Bundesministeriums für Verkehr-, Bau- und Wohnungswesen (Fassung vom 14.7.2005, Verkehrsblatt 2005, S. 604, zitiert nach Schubert a.a.O.)ein Schulträger für Schulbusse eine zeitlich befristete Ausrüstung mit Winterreifen (M+S) vorschreiben. Der Normgeber hatte also in anderen Bereichen keine Bedenken, die Benutzung von Winterreifen vorzuschreiben. Nimmt man hinzu, dass mit der Vorschrift eine bürgernahe Regelung getroffen werden sollte, so ist nicht nachvollziehbar, warum der Begriff des Winterreifens nicht verwendet wurde, sei es in der Form einer Verwendungspflicht bei winterlichen Wetterverhältnissen, sei es in Form eines Verbots, bei winterlichen Wetterverhältnissen ohne Winterreifen zu fahren.
Entgegen der Auffassung des Normgebers ließ sich auch vor der Neuregelung keine entsprechende Pflicht zur Anpassung der Ausrüstung aus anderen Vorschriften ableiten. Zwar wird der Verordnungsbegründung folgend vertreten, § 2 Abs. 2 StVO schreibe die bestehende Rechtslage fest ( Albrecht , aaO, S. 41, der diese Forderung aus dem allgemeinen Verbot der Schädigung, Gefährdung, Behinderung und Belästigung anderer und damit aus § 1 Abs. 2 StVO und ferner aus §§ 2 Abs. 3 a a.F., 3 Abs. 1 , 23 Abs. 1 StVO ableitet; Burmann/Heß/Jahnke/Jankera.a.O.). Es gab jedoch weder nach der StVO noch nach anderen Rechtsquellen eine Pflicht, bei winterlichen Verhältnissen speziell dafür geeignete Reifen zu benutzen und ansonsten auf die Teilnahme am Straßenverkehr zu verzichten. Sie ließ sich nicht aus dem allgemeinen Belästigungsverbot oder aus §§ 2 Abs. 3 a a.F., 3 Abs. 1, 23 Abs. 1 StVO ableiten (so aber Albrecht , aaO, S. 41). § 1 StVO stellt auf vermeidbare Beeinträchtigungen anderer ab. Soweit ersichtlich, verstand hierunter bis zum Inkrafttreten des § 2 Abs. 3 a StVO n.F. niemand die Pflicht, Winterreifen aufzuziehen, um bei Eis und Schnee etwas schneller fahren zu können und dadurch die Beeinträchtigungen anderer durch langsames Fahren zu vermeiden. § 2 Abs. 3 a StVO a.F. bezog sich allein auf Führer kennzeichnungspflichtiger KFZ mit gefährlichen Gütern. § 3 Abs. 1 StVO regelt allein die Geschwindigkeit. Straßenverkehrsrechtlich war es also grundsätzlich nicht verboten, auch unter winterlichen Wetterbedingungen z.B. mit sogenannten Sommerreifen zu fahren, solange dabei die Grundregeln nach § 1 StVO eingehalten wurden, d.h. solange wegen der längeren Bremswege und geringeren Spurtreue entsprechend langsamer und vorsichtiger gefahren wurde ( Schubert , a.a.O. S. 113).
Die Verordnungsbegründung (a.a.O.) wirft im Übrigen weitere Zweifel hinsichtlich ihrer Reichweite auf. Aus dem Wortlaut der Norm und dem Normzusammenhang des § 2 Abs. 3 a S. 1 und 2 StVO ergibt sich keinerlei Einschränkung dahingehend, dass nur besondere winterliche Wetterverhältnisse zu berücksichtigen seien, so dass eine einschränkende Auslegung unter Berufung auf die Entstehung der Norm nicht möglich ist. Bei warmen Temperaturen könnte – im Hinblick auf die unterschiedliche Gummimischung und Profilierung von Sommer- und Winterreifen – ein Reifen ohne „M+S“ Kennzeichnung der geeignetere sein, so dass derjenige, der im warmen Frühjahr oder Herbst noch bzw. schon mit Winterreifen fährt, eine Ordnungswidrigkeit begehen könnte. Erst recht unklar ist die Situation bei niedrigen Temperaturen über dem Gefrierpunkt: ADAC-Tests haben gezeigt, dass die Bremswege von Sommer- und Winterreifen auf trockener und nasser Fahrbahn kein einheitliches Bild ergeben. Einzelne Winterreifen verursachen dann sogar längere Bremswege als Sommerreifen ( Schubert a.a.O. S. 113).
Für den Bürger als Normadressat von § 2 Abs. 3 a StVO ist nicht erkennbar, ob und gegebenenfalls welche Reifen bei welchen Wetterverhältnissen als ungeeignet anzusehen sind (so auch Schubert, a.a.O. S. 116; vgl. auch König a.a.O. a.E.).
Diese Unklarheit wäre vermeidbar gewesen. Der Verordnungsgeber hätte die mit der Neuregelung des § 2 Abs. 3 a S. 1 und 2 StVO verfolgten Ziele auch durch eine eindeutige Norm erreichen können. Ziel der Neuregelung war, die Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs auch bei „extremen“ winterlichen Wetterverhältnissen zu gewährleisten und für den Bürger verständliche Verhaltensanweisungen zu geben (BR-Drs. 813/05 S. 12). Anders als bei der allgemeinen Auffangregel des § 1 StVO wäre hier die Verwendung konkreter Begriffe möglich gewesen. Die „Wetterverhältnisse“ hätten auf z.B. „Wetterverhältnisse, bei denen Eis und/oder Schnee möglich sind“ beschränkt werden können. Für diese Wetterverhältnisse hätte dann wie in § 18 BOKraft vorgeschrieben werden können, dass nur mit – i.d. Praxis allgemein für geeignet gehaltenen, s. dazu oben – Winterreifen gefahren werden dürfe. Ist aber die Erreichung eines Normziels mit bestimmten Begriffen möglich, so ist die Verwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs unzulässig (MüKo-StGB- Schmitz , 1. Aufl. 2003, § 1 Rn. 44 m. w. Nw.).
Da der Bußgeldtatbestand gem. §§ 24 StGB, 2 Abs. 3 a S. 1, 2 , 49 Abs. 1 Ziff. 2 StVO seinem Wortlaut nach unbestimmt ist, durch andere Gesetze oder technische Vorschriften nicht konkretisiert wird, kein klares Verständnis seines Inhalts in Rechtsprechung und im Adressatenkreis besteht und da das Ziel der Regelung auch durch bestimmte Rechtsbegriffe hätte erreicht werden können, ist er wegen Verstoßes gegen Art. 103 GG ungültig.
2. Damit ist dem Betroffenen allein ein fahrlässiger Verstoß gegen das Gebot, insbesondere bei Eisglätte auf den Straßen mit den Straßen- und Wetterverhältnissen angepasster Geschwindigkeit zu fahren, zur Last zu legen (§§ 3 Abs. 1 S. 1, S. 2, 49 Abs. 1 Nr. 3 StVO, Bußgeldkatalog Ziff. 8.1.). Über die für diesen Verstoß festzusetzende Geldbuße kann der Senat gem. § 79 Abs. 6 OWiG selbst entscheiden. Zwar hat das Amtsgericht keine Ausführungen zur Zumessung gemacht. Diese sind aber für die Entscheidung des Senats entbehrlich, da hier die Regelbuße von 50,- € (Bußgeldkatalog i.d.F. bis zum 31.1.2009) festgesetzt werden kann.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, § 473 Abs. 4 StPO.

§ 2 Absatz 3a Satz 1 und 2 Straßenverkehrsordnung (StVO) regelt:

„Bei Kraftfahrzeugen ist die Ausrüstung an die Wetterverhältnisse anzupassen. Hierzu gehören insbesondere eine geeignete Winterbereifung und Frostsschutzmittel in der Scheibenwaschanlage.“

§ 49 Absatz 1 Ziffer 2 StVO bestimmt, dass wer vorsätzlich oder fahrlässig gegen die Vorschrift über „die Straßenbenutzung durch Fahrzeuge nach § 2“ handelt, eine Ordnungswidrigkeit begeht, die mit einem Bußgeld geahndet werden kann.

Voraussetzungen für eine Strafbarkeit bzw. einer Ordnungswidrigkeit müssen konkret umschrieben sein und dürfen nicht durch Auslegung ermittelt werden

 

Das Oberlandesgerichtentschied, dass die Vorschrift des § 2 Abs. 3a S. 1 und 2 in Verbindung mit § 49 Abs. 1 Ziff. 2 StVO gegen das verfassungsmäßig gebotene Bestimmtheitsgebot verstoße. Nach Art. 103 Abs. 2 Grundgesetz sei der Gesetzgeber verpflichtet, die Voraussetzungen für eine Strafbarkeit bzw. einer Ordnungswidrigkeit so konkret zu umschreiben, dass der Anwendungsbereich für den Einzelnen erkennbar sei oder sich durch Auslegung ermitteln lasse.

Fahren mit Sommerreifen im Winter ohne Verkehrsgefährdung bleibt sanktionslos

Durch diese Entscheidung wird nicht in Frage gestellt, dass bei winterlichen Temperaturen, insbesondere aber bei Schnee und Eis, M+S Reifen oder Reifen mit Schneeflockensymbol benutzt werden sollten, um Unfälle möglichst zu vermeiden. Wer sich anders verhält, riskiert nicht nur haftungs- und versicherungsrechtliche Nachteile, ihm droht darüber hinaus – vor allem wenn andere bei einem Verkehrsunfall verletzt werden – weiter die Verfolgung wegen einer Straftat bzw. Ordnungswidrigkeit. Das Fahren mit Sommerreifen im Winter, das zu keiner konkreten Verkehrsgefährdung führt, bleibt aber sanktionslos.

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BGH Organisierte Umsatzsteuerhinterziehung im Emissionszertifikatehandel

Organisierte Umsatzsteuerhinterziehung im Emissionszertifikatehandel

BGH Beschluss vom 21. November 2012 – 1 StR 391/12

Das Landgericht Frankfurt am Main hat sechs Angeklagte (zwei Deutsche, drei Briten und einen Franzosen) wegen Steuerhinterziehung in mehreren Fällen zu Haftstrafen zwischen vier und sieben Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil haben vier der Angeklagten erfolglos Revision eingelegt; die Staatsanwaltschaft hat ihre Revisionen zurückgenommen. Damit ist das Urteil rechtskräftig.

Gegenstand der Verurteilung ist ein international operierendes Umsatzsteuerhinterziehungssystem im Handel mit Emissionszertifikaten, bei dem Umsatzsteuern in einer Gesamthöhe von mehr als 260 Mio € hinterzogen wurden. Hierzu hat das Landgericht Folgendes festgestellt:

Nach dem europäischen Emissionshandelssystem werden den Betreibern genehmigungspflichtiger Anlagen für definierte Handelsperioden bestimmte Mengen an Emissionsberechtigungen (sog. Emissionszertifikate) zugeteilt. Dieses System basiert auf einer europäischen Richtlinie (Richtlinie 2003/87/EG vom 13. Oktober 2003), die in Deutschland am 15. Juli 2004 umgesetzt wurde. Die bei nationalen Registrierstellen (in Deutschland bei der Deutschen Emissionshandelsstelle) ausschließlich elektronisch geführten Emissionszertifikate berechtigen einen Anlagenbetreiber zur Emittierung von CO2 oder anderer Treibhausgase. Diese Zertifikate können auch verkauft werden. Der Handel kann u.a. online über bei den nationalen Registrierstellen bestehende elektronische Emissionshandelskonten erfolgen. Hierdurch ist ohne großen Aufwand die sekundenschnelle (buchmäßige) Übertragung auch großer Zertifikatemengen im Wert von mehreren Millionen € möglich. Bis zur Einführung des – weniger betrugsanfälligen – sog. Reverse-Charge-Verfahrens für Emissionszertifikate zum 1. Juli 2010 auch in Deutschland (andere Mitgliedstaaten der EU hatten dies bereits im Jahr 2009 eingeführt) konnte ein Unternehmer, der mit solchen Zertifikaten handelt, seine eigene Umsatzsteuerzahllast verringern oder sogar Steuervergütungen bewirken, indem er in den von ihm abzugebenden Umsatzsteueranmeldungen die in den Rechnungen der Verkäufer ausgewiesene Umsatzsteuer gemäß § 15 UStG als Vorsteuer geltend machte.

Die Betrugsanfälligkeit dieses (früheren) Systems haben sich die Angeklagten zu Nutze gemacht. Sie etablierten ein aus anderen Handelsbereichen bereits bekanntes Umsatzsteuerhinterziehungssystem: In einer hintereinander geschalteten Leistungskette von Verkäufern und Käufern wird das Emissionszertifikat aus einem anderen EU-Mitgliedsstaat zunächst an einen ersten inländischen Erwerber (den sog. „Missing Trader“) verkauft. Dieser verkauft das Zertifikat mit einem geringen Aufschlag an einen Zwischenhändler (sog. „Buffer“) weiter. Es können auch mehrere Buffer zwischengeschaltet sein. Der (letzte) Buffer verkauft das Zertifikat – wiederum mit einem geringen Preisaufschlag – schließlich an den letzten inländischen Erwerber der Leistungskette, den sog. „Distributor“.

Das Hinterziehungssystem der Angeklagten war für diese deshalb lukrativ, weil der „Missing Trader“ keine Umsatzsteuer abführt und so dem Buffer einen Gewinn in Höhe seines Preisaufschlags ermöglicht. Es ging wie folgt vonstatten:

Der „Missing Trader“ stellt dem „Buffer“ eine Rechnung mit Umsatzsteuerausweis. Die aus dem Weiterverkauf von ihm zu entrichtende Umsatzsteuer führt er allerdings plangemäß nicht ab. Seine tatsächlichen Umsätze verheimlicht er den Finanzbehörden; in der Regel verschwindet er nach kurzer Zeit vom Markt (deswegen die Bezeichnung „Missing Trader“). Der „Buffer“ nutzt die in der Rechnung des Missing Traders ausgewiesene Umsatzsteuer zum Vorsteuerabzug. Die in der Rechnung des Buffers ausgewiesene Umsatzsteuer macht dann der Distributor als Vorsteuer geltend.

Nach den Feststellungen des Landgerichts handelten die Angeklagten teils als „Missing Trader“, teils als „Buffer“. Die „Buffer“ gaben zwar Umsatzsteueranmeldungen ab, „neutralisierten“ aber ihre Steuerzahllast, indem sie Vorsteuern aus Scheinrechnungen (von Firmen mit denen tatsächlich eine Leistungsbeziehung nicht bestand) gegenrechneten. Die „Buffer“ machten jeweils Vorsteuern aus den ihnen vom „Missing Trader“ gestellten Rechnungen mit Umsatzssteuerausweis geltend. Distributor war nach den Feststellungen des Landgerichts in den verfahrensgegenständlichen Fällen eine deutsche Großbank. Diese erwarb Emissionszertifikate von den Buffern in der Weise, dass ein Mitarbeiter dieser Bank jeweils mitteilte, welche Zertifikatmengen die Bank zu welchen Preisen ankaufen würde. Erst dann fragte dieser „Buffer“ bei seinen Lieferanten nach. Der Ankauf erfolgte erst, nachdem der Weiterverkauf gesichert war. Zahlungen an seine Lieferanten leistete der Buffer – insofern völlig risikolos – erst, nachdem er seinerseits den Kaufpreis vereinnahmt hatte.

Das Landgericht hat hinsichtlich der für die jeweiligen Firmen abgegebenen Umsatzsteueranmeldungen den Tatbestand der vorsätzlichen Steuerhinterziehung (§ 370 AO) bejaht. Es sah in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 8. Februar 2011 – 1 StR 24/10) die aus Rechnungen der vermeintlichen „Lieferanten“ geltend gemachte Vorsteuer in einer Gesamthöhe von mehr als 260 Mio. € als hinterzogen an, weil eine Vorsteuerabzugsberechtigung nicht bestand: Soweit es sich nicht ohnehin um Scheinrechnungen nicht existierender Firmen handelte, war eine Vorsteuerabzugsberechtigung nach § 15 UStG deshalb nicht gegeben, weil es an einer unternehmerischen Tätigkeit von Rechnungssteller und -empfänger fehlte. Alle Angeklagten erkannten die Möglichkeit einer Einbindung in eine Hinterziehungskette, handelten aber wegen persönlicher Vorteile gleichwohl.

Der Bundesgerichtshof hat die Revisionen der Angeklagten, mit denen die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt wird, als unbegründet verworfen. Die Nachprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. Insbesondere steht es einer vollendeten Steuerhinterziehung nicht entgegen, dass Finanzbehörden – wie mit einem Beweisantrag behauptet wurde – zwar einen Tatverdacht hatten, gleichwohl aber aus ermittlungstaktischen Gründen (um den Erfolg der äußerst umfangreichen Ermittlungen zur Aufdeckung und Zerschlagung eines groß angelegten Umsatzsteuerhinterziehungssystems nicht zu gefährden) Steuervergütungen gemäß § 168 Satz 2 AO zugestimmt haben. Denn Straftäter haben keinen Anspruch darauf, dass die Finanz- oder die Ermittlungsbehörden so rechtzeitig gegen sie einschreiten, dass der Eintritt des Taterfolgs verhindert wird.

Die Staatsanwaltschaft hat ihre gegen das Urteil gerichteten Revisionen, mit der sie u.a. die nach ihrer Ansicht zu geringe Höhe der verhängten Strafen angreift, zurückgenommen.

BGH Beschluss vom 21. November 2012 – 1 StR 391/12

Landgericht Frankfurt am Main – Urteil vom 21. Dezember 2011 – 5/2 KLs 4/11 7510 Js 258673/09 Wl
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BGH bestätigt nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nach Jugendstrafrecht

Bundesgerichtshof bestätigt nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach Jugendstrafrecht

BGH 1 StR 37/13 – Beschluss vom 5. März 2013

Der Verurteilte war durch das Landgericht Regensburg mit Urteil vom 29. Oktober 1999 wegen Mordes – begangen zur Befriedigung des Geschlechtstriebs und um eine andere Straftat zu verdecken – zu einer Jugendstrafe von zehn Jahren verurteilt worden. Dieser Anlassverurteilung lag zu Grunde, dass der Verurteilte im Alter von 19 Jahren im Juni 1997 eine 31-jährige Joggerin auf einem Waldweg in der Absicht, sie unter massiver Gewaltanwendung zu vergewaltigen und anschließend zu töten, überfallen hatte. Als sein Opfer reglos am Boden lag, nahm er von seinem Vergewaltigungsvorhaben Abstand, legte den Genitalbereich der bereits toten oder im Sterben liegenden Frau frei und onanierte bis zum Samenerguss auf sie, um dadurch Macht über sein Opfer auszuüben.

Der Verurteilte hat die Jugendstrafe bis zum 17. Juli 2008 vollständig verbüßt. Seit dem 18. Juli 2008 ist er einstweilig in der Sicherungsverwahrung untergebracht. Das Landgericht hatte mit Urteil vom 22. Juni 2009 nachträglich die Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Auf die Revision des Verurteilten hatte der Bundesgerichtshof diese Anordnung mit Urteil vom 9. März 2010 bestätigt.

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 4. Mai 2011 die bezeichneten Entscheidungen aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen.

Nach den Vorgaben der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat das Landgericht mit Urteil vom 3. August 2012 die Voraussetzungen der nachträglichen Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung erneut geprüft und eine solche wiederum angeordnet. Die hiergegen gerichtete, auf die Verletzung des Verfahrensrechts und des materiellen Rechts gestützte Revision des Verurteilten hat der Bundesgerichtshof nunmehr mit Beschluss vom 4. März 2013 verworfen, da keine Verfahrensfehler vorliegen und materielles Recht nicht verletzt wurde.

Damit ist die nachträgliche Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung rechtskräftig.

BGH 1 StR 37/13 – Beschluss vom 5. März 2013

Landgericht Regensburg – Urteil vom 3. August 2012 – NSV 121 Js 17 270/1998 jug.
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BGH Urteil gegen Fußball-Profi wegen schwerer Brandstiftung rechtskräftig

BGH Hat Urteil des Landgericht München I gegen Fußball Profi bestätigt.

Beschluss vom 23. Januar 2013 – 1 StR 596/12

Das Landgericht München I hat den Angeklagten, einen Fußball-Profi, wegen schwerer Brandstiftung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt.

Dieser bewohnte nach den landgerichtlichen Feststellungen mit seiner Ehefrau und drei Kindern ein gemietetes Einfamilienhaus in München-Grünwald. In der Nacht auf den 20. September 2011 entzündete der Angeklagte kurz nach Mitternacht – möglicherweise unter Einsatz eines Brandbeschleunigers – Einrichtungsgegenstände in mehreren Räumen des Haupthauses und der Einliegerwohnung. Der Brand breitete sich aus und griff nahezu auf das gesamte Gebäude über. Der durch das Brandgeschehen verursachte Sachschaden am Gebäude, das wegen der nicht mehr sanierungsfähigen Schäden abgerissen werden musste, belief sich auf ca. 900.000 €.

Der Angeklagte war bei der Begehung der Tat erheblich alkoholisiert. Deshalb und infolge seiner durch langwierige Verletzungen und Unstimmigkeiten in der Familie bedingten schwierigen persönlichen Situation befand er sich nicht ausschließbar in einem Zustand der verminderten Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB).

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat die Revision des Angeklagten, mit der die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt wurde, als unbegründet verworfen. Damit ist das Urteil rechtskräftig.

Beschluss vom 23. Januar 2013 – 1 StR 596/12

Landgericht München I – Urteil vom 4. Juli 2012 – 12 KLs 264 Js 193150/11

BGH Karlsruhe, den 30. Januar 2013
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BGH Schuldspruch gegen Teilnehmer rechtskräftig

Schuldsprüche gegen Teilnehmer im Komplex Dr. P. rechtskräftig

BGH  Beschlüsse vom 22. Januar 2013 – 1 StR 232/12, 233/12 und 234/12

Im Zusammenhang mit einem umfangreichen Verfahren gegen den Angeklagten Dr. P. wegen Bankrotts (§ 283 StGB) und Betruges (§ 263 StGB) hat das Landgericht seine jetzige Ehefrau, die Angeklagte S., wegen Beihilfe zum Bankrott in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten und den Angeklagten H. wegen Beihilfe zum Bankrott unter Einbeziehung anderweitiger rechtskräftiger Freiheitsstrafen zu drei Jahren und sechs Monaten Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt (1 StR 234/12). Den Angeklagten B. (Rechtsanwalt aus Nürnberg), den Angeklagten Kl. (seinerzeit Rechtsanwalt in Saarbrücken) und die geschiedene Ehefrau des Angeklagten Dr. P., die Angeklagte K., hat es wegen Beihilfe zum Bankrott jeweils zu Bewährungsstrafen verurteilt (1 StR 233/12). Den Angeklagten Z., einen iranischen Kaufmann, hat es wegen Nötigung (§ 240 StGB) zu einer neunmonatigen zu vollstreckenden Freiheitsstrafe verurteilt (1 StR 232/12).

Dem liegt u.a. folgendes vom Landgericht festgestellte Geschehen zu Grunde:

Zurückgehend auf einen Sachverhalt, der Gegenstand einer Verurteilung des Angeklagten Dr. P. wegen Vorteilsannahme und Steuerhinterziehung aus dem Jahr 2005 war (Zahlungen des Waffenlobbyisten Karl-Heinz Schreiber für die Förderung des Verkaufs von Panzern der Bundeswehr nach Saudi-Arabien), machten verschiedene Gläubiger, darunter die zuständigen Finanzbehörden, das Bundesverteidigungsministerium und die Staatsanwaltschaft Augsburg gegenüber dem Angeklagten Dr. P. erhebliche Forderungen geltend. Da der Angeklagte Dr. P. ins Kalkül zog, die Gläubiger könnten mit ihren Forderungen – jedenfalls im Ergebnis – durchdringen, beschloss er, seine nicht unbeträchtlichen Vermögenswerte für den Fall einer Zwangsvollstreckung oder eines Insolvenzverfahrens dauerhaft dem Zugriff seiner Gläubiger zu entziehen. Hierzu bediente er sich zahlreicher Helfer und ging u. a. wie folgt vor:

Die Angeklagte K. hatte auf Betreiben ihres Ehemannes im März 1996 eine in Luxemburg ansässige Briefkastenfirma panamesischen Rechts gegründet, die nur den Zweck hatte, die Vermögenswerte des Angeklagten Dr. P. zu verschleiern. Auf das Konto dieser Firma hatte der Angeklagte bis 1998 rund 3,9 Mio. DM eingezahlt. Die Ehe des Angeklagten Dr. P. mit der Angeklagten K. wurde 2006 geschieden. Zur Vermögensauseinandersetzung wurde unter Mitwirkung des den Angeklagten Dr. P. vertretenden Rechtsanwalts, des Angeklagten B., vereinbart, dass die Angeklagte K. einen Betrag von rund 1 Mio. € auf ein Anderkonto des Angeklagten B. transferieren soll, damit dieser (nach Abzug seiner Provision in Höhe von etwa 34.000 €) den Geldbetrag auf das Geschäftskonto einer in Herzogenaurach ansässigen GmbH weiterleitet. Mit deren Geschäftsführer hatte der Angeklagte Dr. P. zur Umsetzung seines Tatplans vereinbart, dass er seine Forderung gegenüber der Briefkastenfirma zum Schein an die GmbH abtritt und sich über eine Geschäftsführerstellung einerseits und den über seine jetzige Ehefrau, die Angeklagte S., abgewickelten Erwerb von 50% der Geschäftsanteile an der GmbH die Kontrolle über sein Kapital sichert. Dies wurde Mitte des Jahres 2006 vollständig umgesetzt.

In der ersten Hälfte des Jahres 2008 verkaufte der Angeklagte Dr. P. sein in Südfrankreich gelegenes Villengrundstück, dessen formeller Eigentümer zur Verschleierung der wahren Verhältnisse ein südafrikanischer Politiker war. Dem Angeklagten Kl. war zuvor auf Vermittlung des Angeklagten H. vom Scheineigentümer der Auftrag zum Verkauf erteilt worden. Im Frühjahr 2008 gelang es, einen russischen Käufer zu finden, der das Anwesen für 2,25 Mio. € erwerben wollte. Zur Abwicklung des Kaufvertrages vermittelte der Angeklagte H. den Angeklagten Kl. an eine in Paris tätige Notarin. Nach Abschluss des notariellen Vertrages, bei dem der Angeklagte Kl. den Scheineigentümer vertrat, überredete der Angeklagte H. den Scheineigentümer dazu, von Südafrika nach Paris zu kommen, um dort die Notarin zur Überweisung der Kaufsumme auf ein Schweizer Bankkonto anzuweisen, von wo aus ein Teil des Geldes auf ein Konto auf den Bahamas geleitet wurde. Auf diese Konten hatte der Angeklagte Dr. P. faktischen Zugriff, wenn er auch nicht formell Verfügungsberechtigter war.

Für seine Mitwirkung beim Verkauf forderte der Angeklagte Kl. ein Resthonorar in Höhe von 10.000 €. Um sich diesen Gläubiger vom Leib zu halten, beauftragte der Angeklagte Dr. P. den Angeklagten Z., den Angeklagten Kl. einzuschüchtern. Hierzu begleitete der Angeklagte Z. den Angeklagten Dr. P. im Dezember 2010 zu einem mit dem Angeklagten Kl. vereinbarten Treffpunkt in Nürnberg und drohte dort dem Angeklagten Kl. nach Übergabe von 5.000 €, er werde „richtig Ärger“ bekommen, wenn er Dr. P. weiterhin behellige. Der Angeklagte Kl. nahm die Drohung ernst und verzichtete auf die Restzahlung.

Bei ihren Unterstützungshandlungen rechneten die Mitangeklagten damit und nahmen es in Kauf, dass der Angeklagte Dr. P. durch die Vorgehensweise sein Vermögen verbergen und seine Gläubiger schädigen könnte. Die von den Angeklagten B. und Kl. empfangenen Zahlungen hat das Landgericht für verfallen erklärt.

Auf die gegen diese Urteile eingelegten Revisionen der Angeklagten H., B., Kl. und der Angeklagten K. hat der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs die Schuldsprüche bestätigt, diese sind damit rechtskräftig. Jedoch hat der Senat die jeweiligen Strafaussprüche wegen eines Fehlers bei der Strafrahmenwahl aufgehoben. Hiervon war auch der Strafausspruch gegen die nichtrevidierende S. betroffen. Im Umfang der Aufhebung hat er die Verfahren daher an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Augsburg zurückverwiesen, wo die Strafhöhe neu festzusetzen sein wird.

Die Revision des Angeklagten Z. hat der Strafsenat als unbegründet verworfen.

Beschlüsse vom 22. Januar 2013 – 1 StR 232/12, 233/12 und 234/12

Urteile des LG Augsburg vom 5. Oktober 2011, vom 17. Oktober 2011 und vom 9. November 2011 – 9 KLs 501 Js 143356/09

Karlsruhe, den 11. Februar 2013

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