Gebührenschuldner Ausnahmegenehmigung nach § 29 Abs. 3 StVO

VG Freiburg Urteil vom 29.1.2013, 3 K 1513/12

Gebührenschuldnerschaft bei Einholung der Genehmigung eines von einer Spedition durchgeführten Großraum- und Schwertransports seitens des Unternehmers, dessen Gut transportiert wird

Leitsätze

Ein Unternehmer, der für eine Spedition die Erlaubnis/Ausnahmegenehmigung nach § 29 Abs. 3 StVO bzw. nach § 46 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StVO zur Durchführung eines Großraum- und Schwertransports einholt, ist jedenfalls dann nicht Schuldner der Gebühr für dessen polizeiliche Begleitung sowie deren Planung und Vorbereitung, wenn die Spedition den Großraum- und Schwertransport in eigener Verantwortung vornimmt.

Dem Unternehmer ist die gebührenpflichtige öffentliche Leistung unter diesen Voraussetzungen nicht zuzurechnen. Denn die polizeiliche Begleitung des Großraum- und Schwertransports sowie deren Planung und Vorbereitung erfolgten dann nicht in seinem Interesse; insbesondere hat er sie nicht verantwortlich veranlasst (§§ 2 Abs. 3, 5 Abs. 1 Nr. 1 LGebG).

 

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Rotlicht und Rotlichtverstoß Fahrtenbuchauflage bei Querschnittlähmung zulässig

Führen eines Fahrtenbuchs nach erheblichem Verkehrsverstoß (Rotlichtverstoß) auch mit körperlicher Behinderung nicht unverhältnismäßig

Verwaltungsgericht Berlin, Urteil vom 20.10.2011
– VG 20 K 271.10 –

Auch einem Querschnittgelähmten kann nach einem Verkehrsverstoß das Führen eines Fahrtenbuchs auferlegt werden. Dies entschied das berliner Verwaltungsgericht.

Mit dem auf den Kläger zugelassenen Fahrzeug war im November 2009 ein Rotlichtverstoß (Rotlicht) begangen worden. Der Kläger machte keine Angaben zur Identifizierung des Fahrers. Das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten legte Ihm ein Fahrtenbuch für die Dauer eines Jahres auf. Hiergegen wandte sich der Kläger unter Verweis auf seine Querschnittlähmung; er meinte, das Fahrtenbuch sei für ihn mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand verbunden, da er täglich auch kürzeste Distanzen mit dem PKW zurücklegen müsse.

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Geschäftsführer einer Spedition mitverantwortlich für Lenkverstöße

Geschäftsführers einer Spedition kann für die Lenkverstöße seiner Mitarbeiter mitverantwortlich sein.

Bayerisches Oberstes Landesgerich

Der 3. Senat für Bußgeldsachen des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat die Rechtsbeschwerde des Betroffenen vom 1. April 2000 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an einen anderen Richter des Amtsgerichts Rosenheim – Zweigstelle Wasserburg a. Inn – zurückverwiesen.

G r ü n d e

Der Betroffene ist Mitgeschäftsführer der Firma W GmbH mit Sitz in P. Seine Aufgaben bestehen in der Aquisition und der Einstellung des Fahrpersonals. Darüber hinaus vertritt er die Disponentin während ihres Urlaubs. Obwohl er Bußgeldbescheide, die wegen Nichteinhaltung der vorgeschriebenen Lenk- oder Ruhezeiten gegen seine Fahrer, erlassen wurden, kannte, unterließ es der Betroffene in der Zeit vom 20.4. bis 29.7.1997, die erforderlichen Aufsichtsmaßnahmen zu treffen, die geeignet gewesen wären, die Einhaltung der Sozialvorschriften im Straßenverkehr zu gewährleisten, und nahm es billigend in Kauf, daß die bei ihm in dieser Zeit angestellten Fahrer F , He , Hi und Pmehrfach die tägliche Lenkzeit überschritten.

Die von den genannten Fahrern geführten Lkw hatten alle ein zulässiges Gesamtgewicht von mehr als 2,8 t und nicht mehr als 3,5 t; die Fahrten fanden, soweit sie grenzüberschreitend waren, innerhalb der EU statt.

Das Amtsgericht Rosenheim – Zweigstelle Wasserburg a. Inn – verurteilte den Betroffenen am 11.4.2000 wegen vorsätzlichen Zulassens der Überschreitung der zulässigen täglichen Lenkzeit zu einer Geldbuße von 5 000 DM.

Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet.

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist zulässig (§ 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 341 Abs. 1, §§ 344, 345 StPO) und hat mit der Sachrüge Erfolg, so daß auf die Verfahrensrüge nicht eingegangen zu werden braucht.

I

1. Allerdings ergibt die bei zulässiger Rechtsbeschwerde vom Senat von Amts wegen vorzunehmende Prüfung der Verfahrensvoraussetzungen bzw. -hindernisse, daß Verfolgungsverjährung (§ 31 Abs. 1 Satz 1 OWiG) nicht eingetreten ist. Dabei kann insoweit dahinstehen, ob die zur Tatzeit (20.4. bis 29.7.1997) geltende Bestimmung.des § 7 a Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b, Abs. 2 FPersG i.V.m. Art. 6, 15 VO (EWG) Nr. 3820/85 oder die des § 7 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 FPersG i.V.m. § 8 Nr. 2 Buchst. b, § 6 Abs. 5 FPersV (i.d.F. der Verordnung zur Änderung fahrpersonalund straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 23.7.1990, BGBl I S. 1484) anzuwenden ist, da der jeweilige Abs. 2 des § 7 bzw. § 7 a FPersG einen Bußgeldrahmen bis zu 10.000 DM eröffnet. Zutreffend hat das Amtsgericht die zur Tatzeit geltenden Bestimmmungen angewendet (§ 4 Abs. 1 OWiG), da die gemäß Art. 7 des Ge-, setzes zur Änderung fahrpersonalrechtlicher Vorschriften vom 18.8.1997 (BGBl I S. 2075/2080) am 19.8.1997 in Kraft getretenen Vorschriften des § 8 (Abs. 1 Nr. 1 bzw. 2) FPersG und § 8 Nr. 2 Buchst. c bzw. § 9 Nr. 3 Buchst. b FPersV (vgl. Art. 2 Nr. 5 c, bb, Nr. 6 des Gesetzes zur Änderung fahrpersonalrechtlicher Vorschriften vom 18.8.1997) denselben Bußgeldrahmen androhen und damit nicht milder als die zur Tatzeit geltenden Bestimmungen sind (vgl. § 4 Abs. 3 OWiG).

Da der Betroffene nach den Feststellungen des Amtsgerichts vorsätzlich gehandelt hat, ergibt sich hieraus eine Verjährungfrist von zwei Jahren (§ 31 Abs. 2 Nr. 2 OWiG). Geht man zugunsten des Betroffenen davon aus, daß seine Zuwiderhandlung durch ungenügende Überwachung mit dem letzten Verstoß der Fahrer (29.7.1997) beendet war (§ 31 Abs. 3 Satz 1 OWiG), so wird die Verjährung bis zum Erlaß des amtsgerichtlichen Urteils durch den Bußgeldbescheid vom 8.6.1998 oder aber durch die Zustellung des vollständigen Bußgeldbescheids am 31.3.1999 unterbrochen (§ 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG).

2. Die bisherigen Feststellungen des Amtsgerichts tragen aber eine Verurteilung des Betroffenen wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 7 a Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b FPersG nicht. Die Nichteinhaltung der höchstzulässigen Tageslenkzeit ist nämlich nur in einer für das Rechtsbeschwerdegericht nicht überprüfbaren Weise mit Tatsachen belegt. Das Amtsgericht hat nur bestimmte Zeiträume mit der Feststellung verbunden, daß die Tageslenkzeit um eine bestimmte Stundenzahl überschritten worden sei. Bei Verstößen gegen die Tageslenkzeit gemäß Art. 6 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 3820/85 zwischen zwei täglichen Ruhezeiten oder einer täglichen und einer wöchentlichen Ruhezeit ist aber, wie der Senat mehrfach betont hat, in der Regel anzugeben, wie lange der Fahrer an den einzelnen Tagen das Fahrzeug gesteuert hat, daß in diesen Zeitabschnitten jedenfalls keine mehr als etwa drei Minuten dauernden Pausen enthalten sind, und von wann bis wann er jeweils geruht hat. Nur bei geständigen Betroffenen kann die summarische Fest-stellung der Lenkzeitüberschreitung genügen (Bay0bLG NZV 1996, 505/506 unter Bezugnahme auf BayObLG vom 29.5.1989 – 3 ObOWi 42/89). Das angefochtene Urteil enthält aber keinerlei Angaben über die tatsächlichen Fahrzeiten oder die eingelegten Ruhepausen. Es handelt sich bei dem Betroffenen auch nicht um einen geständigen Fahrer, der in der Lage ist, die vorgehaltenen Diagrammscheiben mit seinen eigenen Beobachtungen zu vergleichen, sondern um einen Unternehmer, der die Verstöße seiner Fahrer in Frage gestellt hat.

Daß bei der vom Amtsgericht gefertigten Aufstellung einzelne Tageslenkzeitüberschreitungen aufgeführt sind, die nicht durch eine ausreichende Ruhezeit von einander getrennt sind (vgl. z. B. Fahrer F 28.4.1997, 23.30 Uhr/29.4.1997, 6 Uhr) ist hingegen für die Beurteilung der Verfehlung des Unternehmers ohne Bedeutung.

Das Amtsgericht hat darüber hinaus nicht dargelegt, von welcher höchstzulässigen Tageslenkzeit es jeweils ausgegangen ist (vgl. Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Sätze 1 und 2 VO (EWG) Nr. 3820/85).

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird daher das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufgehoben (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 353 StPO). Die Sache, die weiterer Feststellungen bedarf, wird an einen anderen Richter des Amtsgerichts Rosenheim – Zweigstelle Wasserburg a. Inn – zurückverwiesen (§ 79 Abs. 6 OWiG), der auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahren zu befinden haben wird.

Die Entscheidung ergeht durch Beschluß gemäß § 79 Abs. 5 Satz l, § 80 a Abs. 1 und 3 OWiG und entspricht dem Antrag der Staatsanwaltschaft.

Für das weitere Verfahren wird auf folgendes hingewiesen:

1. Die Angabe der Fahrtrouten ist im vorliegenden Fall zwar zweckmäßig, aber nicht zwingend erforderlich, wenn neuerdings festgestellt wird, daß die Fahrten, soweit sie grenzüberschreitend waren, innerhalb der EU stattfanden, wie bisher im angefochtenen Urteil festgehalten wurde. Eine Abgrenzung zu Fahrten, die dem AETR unterliegen, ist daher nicht notwendig.

2. Gleiches gilt für die Frage, ob und welche Fahrten jeweils im EU-Ausland durchgeführt worden sind. Handelte es sich bei den benutzten Fahrzeugen um solche mit einem zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 3,5 t, so gilt die VO (EWG) Nr. 3820/85 unmittelbar als Gemeinschaftsrecht nicht nur Deutschland, sondern auch im EU-Ausland. Aber auch, wenn mit einem zulässigen Gesamtgewicht von mehr nicht mehr als 3,5 t Verwendung fanden, wie auf S. 7 des angefochtenen Urteils festgestellt.

In den Bereichen, die nicht der VO (EWG) Nr. 3820/85 unterliegen (hier Art. 4 Nr. 1), blieb die Bundesrepublik Deutschland für den Erlaß von Regelungen über die Lenkzeiten zuständig (vgl. EuGH NStZ-RR 1996, 281; vgl. auch BayObLG VRS 75, 372/374). Nach Auffassung des Senats ist durch die Bezugnahme in § 6 Abs. 1 FPersV auf Art. 6 VO (EWG) Nr. 3820/85 zum Ausdruck gekommen, daß diese Verpflichtung nicht nur innerhalb der Bundesrepublik Deutschland, sondern im gesamten Geltungsbereich der EWG-Verordnung einzuhalten ist. Dahinstehen kann insoweit, ob diese Ausdehnung des räumlichen Geltungsbereichs bereits für die dem § 6 FPersV vorausgehende Vorschrift des § 15 a StVZO gegolten hat, die sich noch für den Bereich der Fahrzeuge zwischen 2,8 und 3,5 t mit der VO (EWG) Nr. 3820/85 überschnitten hat und daher insoweit nur subsidiär anzuwenden war und die eine Bezugnahme auf die EWG-Verordnung (vgl. Art. 2 Nr. 1 der Verordnung zur Änderung fahrpersonalrechtlicher Vorschriften vom 9.12.1986, BGBl I S. 2344) nur im Zusammenhang mit der Anrechnung von Lenkzeiten beinhaltete.

Mit der Aufhebung des § 15 a StVZO durch Art. 1 Nr. 2 der Verordnung zur Änderung fahrpersonal- und straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 23.7.1990 (BGBl I S. 1484) und der Neufassung des § 6 FPersV durch Art. 2 Nr. 3 der Verordnung vom 23.7.1990 aufgrund der Ermächtigung des § 2 Nr. 3 Buchst. a FPersG kam jedenfalls zum Ausdruck, daß es sich nicht mehr um eine ausschließlich straßenverkehrsrechtliche Bestimmung handelt, sondern daß auch der Schutz von Leben und Gesundheit der Mitglieder des Fahrpersonals das gesetzgeberische Ziel der Vorschrift darstellt. Dieses Ziel kann aber nur verwirklicht werden, wenn die Verpflichtung zur Einhaltung der vorgeschriebenen Lenkzeiten nicht an der Grenze Deutschlands zu anderen EU-Mitgliedsstaaten endet. Die Einhaltung der höchstzulässigen Tageslenkzeit beschränkt sich daher nicht auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland.

Damit ist aber noch nichts darüber ausgesagt, ob ein Verstoß gegen diese Verpflichtung in der Bundesrepublik Deutschland als Ordnungswidrigkeit verfolgbar ist. Einigkeit besteht darüber, daß Fahrer, welche die Bestimmungen der VO (EWG) Nr. 3820/85 ausschließlich im EU-Ausland nicht einhalten, wegen der räumlichen Beschränkung des Geltungsbereiches des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten auf die Bundesrepublik Deutschland (§ 5 OWiG) in Deutschland nicht verfolgt werden können (vgl. BayObLGSt 1980, 21 = VRS 58, 465 ff., soweit der Fahrer angesprochen ist; OLG Hamm VRS 60, 234). Dies gilt in gleicher Weise auch für diejenigen Fahrer, die nur über § 6 Abs. 1 FPersV die EWG-Bestimmungen einzuhalten haben.

Hingegen ist die Anordnung der Lenkzeitüberschreitung durch den inländischen Unternehmer bzw. die eine solche Überschreitung voraussetzende Disposition oder aber auch die Unterlassung, für die Einhaltung der Lenkzeitvorschriften zu sorgen, wenn sich Unregelmäßigkeiten der Fahrer feststellen lassen, auch dann als Ordnungswidrigkeit des Unternehmers verfolgbar, wenn die Fahrzeuge allein im EU-Ausland vorschriftswidrig geführt worden sind, da der Tatort für den Verstoß des Unternehmers gemäß § 7 OWiG im Inland liegt (vgl. BGHSt 34, 101/105 f.). Die Verfolgbarkeit des Verstoßes des Fahrers in der Bundesrepublik Deutschland ist dabei weder bei der unmittelbaren Anwendung der VO (EWG) Nr. 3820/85 Voraussetzung noch bei deren über § 6 Abs. 1 FPersV vorgeschriebenen Anwendung.

3. Schließlich wird das Amtsgericht bei einer Bußgeldbemessung im Bereich von 5.000 DM auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen gemäß § 17 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 OWiG zu erwägen haben. Hierbei ist einerseits zu berücksichtigen, ob der Betroffene außer seiner Geschäftsführertätigkeit auch an der GmbH als Gesellschafter beteiligt ist. In diesem Fall kann deren wirtschaftliche Situation von Bedeutung sein, die zum einen von einem Wagenpark von 22 Fahrzeugen und einem Personalbestand von 30 Fahrern gekennzeichnet ist, zum anderen vom Betroffenen wegen des Konkurrenzdruckes als schlecht bezeichnet wird. Andererseits sind die familiären Verhältnisse des Betroffenen (Frau und vier Kinder) zu berücksichtigen.

Bayerisches Oberstes Landesgericht

Az.: 3 OboWi 13/01
Beschluss vom 28.02.2001

Mitgeteilt von

Rechtsanwalt Michael Erath

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NSU-Prozess: OLG München muss Sitzplätze für ausländische Medien vergeben

NSU-Prozess: OLG München muss angemessene Zahl an Sitzplätzen für ausländische Medien mit besonderem Bezug zu den Opfern vergeben

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 13.04.2013
– 1 BvR 990/13 –

BVerfG gibt Antrag der türkischen Zeitung „Sabah“ auf Erlass einer einstweiligen Anordnung teilweise statt

  1. Dem Vorsitzenden Richter des 6. Strafsenats des Oberlandesgerichts München wird im Strafverfahren gegen Beate Z. u.a. wegen § 129 StGB u.a., Az.: 6 St 3/12, aufgegeben, nach einem von ihm im Rahmen seiner Prozessleitungsbefugnis festzulegenden Verfahren eine angemessene Zahl von Sitzplätzen an Vertreter von ausländischen Medien mit besonderem Bezug zu den Opfern der angeklagten Straftaten zu vergeben.
  2. Der weitergehende Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
  3. Der Freistaat Bayern hat den Beschwerdeführern ihre notwendigen Auslagen im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erstatten.

Gründe:

I.
1

Die dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zugrundeliegende Verfassungsbeschwerde betrifft das Akkreditierungsverfahren und die Vergabe fester Sitzplätze für Medienvertreter im sogenannten NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München. Die Beschwerdeführer begehren in der Hauptsache die Aufhebung der zugrundeliegenden Verfügungen des Oberlandesgerichts und beantragen, ihre Vollziehung im Wege einer einstweiligen Anordnung bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde auszusetzen.

2

1. Im Strafverfahren gegen Beate Z. u.a. bezüglich der sogenannten NSU-Terrorzelle hat der Generalbundesanwalt Anklage zum Oberlandesgericht München erhoben. Gegenstand der Anklage sind insbesondere auch Straftaten zum Nachteil türkischer Staatsangehöriger und türkischstämmiger Bürger. Das Medieninteresse am Verfahren ist seit geraumer Zeit national wie international sehr groß.

3

2. Die Beschwerdeführerin zu 1. ist Verlegerin der in türkischer Sprache erscheinenden Ausgabe der Zeitung S., die nach eigenen Angaben in Deutschland von etwa einem Fünftel der türkischstämmigen Bevölkerung gelesen wird; der Beschwerdeführer zu 2. ihr Stellvertretender Chefredakteur. Die Beschwerdeführer haben sich bereits im Januar 2013 um eine Akkreditierung beim Oberlandesgericht München beworben und, nachdem ihnen mitgeteilt wurde, dass dies derzeit noch nicht möglich sei, in den dortigen E-Mail-Verteiler aufnehmen lassen. Nach ihren Angaben ist ihnen dabei mitgeteilt worden, dass ihnen der Akkreditierungsbeginn schriftlich bekannt gegeben werde.

4

3. Am 4. März 2013 erließ das Oberlandesgericht München gemäß § 176 GVG die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Verfügung zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung in der Hauptverhandlung.

5

Diese regelt hinsichtlich der Medienberichterstattung unter Ziffer V. zunächst die Zulässigkeit von Ton-, Film-, und Bildaufnahmen vor und im Sitzungssaal; sie sieht dabei eine Pool-Lösung vor. Unter Ziffer VI.1. ist dann allgemein das Akkreditierungsverfahren für alle Medienvertreter, insbesondere auch für die Vertreter der Presse, festgelegt. Dabei heißt es:

6

Die Medienvertreter werden gebeten, sich schriftlich für „NSU“ unter Übermittlung eines gültigen Presseausweises eines Presseunternehmens bzw. einer Rundfunk- oder Fernsehanstalt im Sinne des Pressegesetzes und/oder eines Referenzschreibens (…) eines solchen Unternehmens bis spätestens Donnerstag, den 14. März 2013 bei der Pressestelle des Oberlandesgerichts München (pressestelle@olg-m.bayern.de; Fax-Nr. +49(89)55975176) zu akkreditieren.

Akkreditierungsgesuche, die den oben genannten Anforderungen nicht entsprechen oder nach Ablauf der Frist eingehen, können nicht berücksichtigt werden. Die hiernach zulässigen Akkreditierungsgesuche werden in der Reihenfolge des Eingangs berücksichtigt, wobei Mehrfachnennungen zunächst außer Betracht bleiben.

Über die Zulassungen entscheidet der Vorsitzende des 6. Strafsenats nach vollständigem Eingang der Akkreditierungsgesuche. (…)

7

Mit der praktischen Durchführung des Akkreditierungsverfahrens, insbesondere der Bekanntgabe der Verfügung vom 4. März 2013, war die Leiterin der Justizpressestelle des Oberlandesgerichts München betraut. Diese teilte auf Anfrage einzelnen Journalisten bereits in der Woche vor der Verfügung mit, dass die zulässigen Akkreditierungsgesuche voraussichtlich nach der Reihenfolge ihres Eingangs berücksichtigt würden, und sie hoffe, in der Woche ab dem 4. März die Akkreditierungsbedingungen bekannt geben zu können. Nach dem Vortrag der Beschwerdeführer soll Journalisten, die am 4. März bewusst oder zufällig beim Oberlandesgericht angerufen haben, auch schon mitgeteilt worden sein, dass die Verfügung am 5. März zwischen 8 Uhr und 9 Uhr gemailt werde und dann der Antrag auf Akkreditierung gestellt werden könne.

8

Die Verfügung vom 4. März wurde am 5. März um 08:56 Uhr über den E-Mail-Verteiler des Oberlandesgerichts versandt. Sie war als Anlage an ein E-Mail-Schreiben angehängt, in dem darauf hingewiesen wurde, dass anliegend die Bedingungen der vom Senat angeordneten Akkreditierung zur Kenntnis gegeben würden; diese ergäben sich aus Ziffer V. der Sicherheitsverfügung des Senats vom 4. März 2013. Aufgrund von Fehlermeldungen mussten dabei einige Adressaten des Verteilers, hierunter auch der Beschwerdeführer zu 2., zunächst aus dem Verteiler genommen werden, um die E-Mail versenden zu können. Der Beschwerdeführer zu 2. erhielt die E-Mail sodann im Anschluss um 09:15 Uhr. Ein weiterer für die Beschwerdeführerin zu 1. tätiger Journalist soll ausweislich einer vom Bundesverfassungsgericht eingeholten Stellungnahme des Vorsitzenden des 6. Strafsenats des Oberlandesgerichts München die fragliche E-Mail bereits um 08:56 Uhr erhalten haben.

9

Bereits um 08:58 Uhr gingen die ersten Anträge beim Oberlandesgericht ein. Insgesamt wurden bis 09:15 Uhr bereits 39 Akkreditierungsanträge und bis 09:36 Uhr bereits 50 Akkreditierungsanträge eingereicht, hierunter zunächst ausschließlich von deutschen Medien. Die Anträge der Beschwerdeführer gingen am Folgetag, den 6. März 2013, um 11:59 Uhr als laufende Nummern 171, 172 ein.

10

4. Am 22. März 2013 erließ das Oberlandesgericht – in Ergänzung zur Verfügung vom 4. März 2013 – eine weitere Verfügung zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung in der Hauptverhandlung gemäß § 176 GVG.

11

In dieser wurde unter Ziffer III.1. erstmals festgelegt, dass für die akkreditierten Medienvertreter im Sitzungssaal insgesamt 50 reservierte Sitzplätze zur Verfügung stehen, diese Plätze an jedem Sitzungstag bis 15 Minuten vor Sitzungsbeginn für die akkreditierten Medienvertreter reserviert sind und bis zu diesem Zeitpunkt nicht eingenommene Plätze zunächst an weitere wartende akkreditierte Medienvertreter, ansonsten an sonstige Zuhörer vergeben werden. Unter Ziffer III.2. heißt es sodann, dass Medienvertreter und sonstige Zuhörer, die keinen Sitzplatz gefunden haben, den Sitzungssaal vor Beginn der Sitzung zu verlassen haben.

12

5. Am 25. März 2013 erhielten die Beschwerdeführer per E-Mail zwei Listen der durch den Vorsitzenden des 6. Strafsenats des Oberlandesgerichts akkreditierten 123 Medien und Medienvertreter (Liste 1 Nr. 1-50 / Liste 2 Nr. 51-123) mit dem Hinweis, dass in den beiden Listen sämtliche fristgemäß eingegangenen und zulässigen Akkreditierungsgesuche in der Reihenfolge ihres Eingangs bei der Justizpressestelle berücksichtigt worden seien und die nach den genannten Kriterien ermittelten ersten 50 Medienvertreter zusätzlich zur Akkreditierung einen auf sie ausgestellten Ausweis zur Berechtigung der Sitzplatzeinnahme erhielten.

13

Von den ersten 39, bis 09:15 Uhr eingereichten Gesuchen wurden letztlich 11 als zulässig angenommen. Das 50. als zulässig angenommene Gesuch – insgesamt das 117. Akkreditierungsgesuch – ging am 5. März 2013 um 11:42 Uhr ein. Unter den mit Sitzplatzreservierung akkreditierten Medien befindet sich kein türkisches Medium. Beworben haben sich neun türkische Medien. Griechische oder iranische Medien, aus deren Ländern ebenfalls Opfer der angeklagten Taten stammen, haben kein Akkreditierungsgesuch gestellt.

14

6. Mit der dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zugrundeliegenden Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer insbesondere eine Verletzung in ihren Grundrechten aus Art. 5 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 und 3 GG.

15

7. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hatte Gelegenheit, zum Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung Stellung zu nehmen. Das Oberlandesgericht München äußerte sich hierauf dahingehend, dass ein Grundrechtsverstoß nach den bekannten Maßstäben nicht erkennbar sei.

II.
16

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat im tenorierten Umfang Erfolg.

17

1. Gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erwiese sich von vornherein als insgesamt unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 112, 284 <291>).

18

2. Die zugrundeliegende Verfassungsbeschwerde ist vorliegend weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Insbesondere erscheint es nicht ausgeschlossen, dass das sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ableitende subjektive Recht der Beschwerdeführer auf Gleichbehandlung im publizistischen Wettbewerb (vgl. BVerfGE 80, 124 <133 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 18. März 2008 – 1 BvR 282/01 -, NJW-RR 2008, S. 1069 <1071>), also auf gleichberechtigte Teilhabe an den Berichterstattungsmöglichkeiten zu gerichtlichen Verfahren, verletzt sein könnte.

19

Allerdings ist die Entscheidung über die Zugänglichkeit zu Gerichtsverhandlungen, die Reservierung einer bestimmten Anzahl von Plätzen für Medienberichterstatter und auch die Verteilung knapper Sitzplätze an dieselben grundsätzlich eine Frage, die sich unter dem verfassungsrechtlichen Schutz der Unabhängigkeit der Gerichte zunächst nach einfachem Recht entscheidet und die der Prozessleitung des Vorsitzenden in dem jeweiligen Gerichtsverfahren obliegt (vgl. BVerfGE 103, 44 <61 ff.>; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 30.Oktober 2002 – 1 BvR 1932/02 -, NJW 2003, S. 500). Dabei hat dieser einen weiten Entscheidungsspielraum. Das Bundesverfassungsgericht überprüft dessen Anordnungen nur dahingehend, ob sie Verfassungsrecht verletzen und insbesondere, ob sie auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts beruhen (vgl. BVerfGE 18, 85 <97 f.>; stRspr). Sie müssen jedoch jedenfalls in Berücksichtigung des grundsätzlichen Anspruchs der Presse auf Zugang für eine freie Berichterstattung sachlich ausgestaltet sein und dem subjektiven Recht der Medienvertreter auf gleiche Teilhabe an den Berichterstattungsmöglichkeiten Rechnung tragen (vgl. BVerfGE 80, 124 <133 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 18. März 2008 – 1 BvR 282/01 -, NJW-RR 2008, S. 1069 <1071>). Danach ist zwar grundsätzlich auch der Rückgriff auf das Prioritätsprinzip möglich (vgl. Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 30. Oktober 2002 – 1 BvR 1932/02 -, NJW 2003, S. 500). Allerdings bedarf auch dieses Prinzip einer Ausgestaltung, die die Chancengleichheit realitätsnah gewährleistet. Bei der verfahrensrechtlichen Umsetzung ist insoweit die tatsächliche Situation der vorhersehbar Interessierten hinreichend zu berücksichtigen. Nicht geklärt, aber auch nicht ausgeschlossen ist, ob in bestimmten Situationen eine Differenzierung zwischen verschiedenen Medienvertretern verfassungsrechtlich zulässig oder geboten ist (vgl. Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 30. Oktober 2002 – 1 BvR 1932/02 -, NJW 2003, S. 500 <501>).

20

Ob die Beschwerdeführer danach durch die angegriffenen Entscheidungen in ihren Grundrechten verletzt sind, bedarf einer näheren Prüfung unter Berücksichtigung der konkreten Umstände und Bedingungen des in Frage stehenden Akkreditierungsverfahrens, die im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes nicht möglich ist, sondern dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben muss. Hierbei wird zu berücksichtigen sein, dass es sich vorliegend um ein Strafverfahren handelt, das eine ungewöhnlich große öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zieht und damit auch auf das Interesse von Medienvertretern stößt, die mit Fragen der Gerichtsberichterstattung und den Verfahren zur Akkreditierung in Deutschland möglicherweise wenig vertraut sind. Insofern stellt sich die Frage, ob dem die Verfahrensgestaltung hinreichend Rechnung getragen hat. Hier könnte von Bedeutung sein, dass die Justizpressestelle des Oberlandesgerichts einzelnen Medienvertretern bereits vorab die voraussichtliche Berücksichtigung der Akkreditierung nach der Reihenfolge der Eingänge mitgeteilt hat. Dabei wäre allerdings zu berücksichtigen, inwieweit sich eine verzögerte Information der Beschwerdeführer auf ihre Chance auf Zuweisung eines festen Sitzplatzes auswirkte. In Anbetracht des zu erwartenden und laut Stellungnahme des zuständigen Vorsitzenden auch erwarteten Medienandrangs kann zu erwägen sein, ob wegen des hierbei naheliegenden besonderen Interesses auch ausländischer Medien, insbesondere aus den Herkunftsländern der Opfer der angeklagten Straftaten, die Anwendung des Prioritätsprinzips bei der Akkreditierung und der Beginn des Akkreditierungsverfahrens rechtzeitig und auch für Unerfahrene eindeutig hätte angekündigt werden müssen. In Betracht zu ziehen ist auch, ob im Sinne der Fairness des Verfahrens dabei auf die absehbar jedenfalls begrenzte Zahl der zur Verfügung stehenden Sitzplätze für Medienvertreter hätte hingewiesen werden müssen, so dass sich gerade auch ausländische Medien, die nicht regelmäßig an deutschen Gerichtsprozessen teilnehmen, auf die Knappheit der Sitzplätze und die Eilbedürftigkeit der Anmeldung besser hätten einstellen können. Vor diesem Hintergrund können auch weitere Umstände des in Frage stehenden Akkreditierungsverfahrens verfassungsrechtlich gewürdigt werden, wie die Tatsache, dass die Geltung des Prioritätsprinzips in der Verfügung vom 4. März 2013 lediglich in Verbindung mit der Akkreditierung als solcher, nicht aber explizit in Verbindung mit einer Sitzplatzvergabe genannt wurde und die ausdrückliche Unterscheidung zwischen Akkreditierung und nachfolgender Sitzplatzvergabe erst nachträglich am 22. März 2013 verfügt wurde. Schließlich stellt sich auch die Frage, ob in Anbetracht der Herkunft der Opfer ausnahmsweise ein zwingender Sachgrund für eine eventuell teilweise Differenzierung zwischen verschiedenen Medien beispielsweise im Sinne einer Quotenlösung gegeben gewesen wäre.

21

All dieses wirft schwierige Rechtsfragen auf. Eine Verletzung der verfassungsrechtlichen Anforderungen lässt sich insoweit jedenfalls nicht offensichtlich ausschließen.

22

3. Erweist sich eine Verfassungsbeschwerde weder als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet, sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde später aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 71, 158 <161>; 96, 120 <128 f.>; 117, 126 <135>; stRspr). Nach diesen Maßstäben ist dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betreffend die Platzvergabe des Oberlandesgerichts München vom 25. März 2013 im tenorierten Umfange stattzugeben.

23

Erginge vorliegend keine einstweilige Anordnung, hätte die Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache aber Erfolg, so bestünde die Gefahr, dass die Beschwerdeführer, ohne dass ihnen die gleichen Chancen wie anderen Medienvertretern eingeräumt gewesen wären, wie auch andere ausländische Medien mit besonderem Bezug zu den Opfern der angeklagten Straftaten von der Möglichkeit einer eigenen, aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpften Berichterstattung im sogenannten NSU-Prozess ausgeschlossen blieben. Denkbar ist auch, dass auf eine türkische Leserschaft ausgerichtete Medien mit Fragen der Akkreditierung vor deutschen Gerichten wenig vertraut sind und deshalb durch eine etwaige Beeinträchtigung der Chancengleichheit in Akkreditierungsverfahren besonders betroffen sind. Dies wiegt vorliegend umso schwerer, als gerade türkische Medienvertreter ein besonderes Interesse an einer vollumfänglich eigenständigen Berichterstattung über diesen Prozess geltend machen können, da zahlreiche Opfer der angeklagten Taten türkischer Herkunft sind und in der türkischstämmigen Bevölkerung ebenso wie in der Türkei ein entsprechend großes Informationsbedürfnis besteht.

24

Diese Nachteile überwiegen gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im tenorierten Umfange stattgegeben würde, der Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache aber der Erfolg letztlich versagt wäre. Denn in diesem Falle würden zwar den ausländischen Medien mit besonderem Bezug zu den Opfern der angeklagten Straftaten Sitzplätze in der Verhandlung eingeräumt, auf die sie nach der bisherigen Sitzplatzvergabe keinen Anspruch mehr gehabt hätten. Eine etwaige Ungleichbehandlung sonstiger Medien, denen ein bereits zugeteilter Sitzplatz genommen oder bei Bildung eines Zusatzkontingents kein Sitzplatz zugeteilt wird, wöge jedoch vor dem Hintergrund des besonderen Interesses dieser Medien weniger schwer. Rechte der Medien bestehen ohnedies nur im Rahmen einer gleichheitsgerechten Auswahlentscheidung. Auch ist der Nachteil für die allgemeine Öffentlichkeit, der dadurch entsteht, wenn mit einem Zusatzkontingent einige wenige Plätze der Saalöffentlichkeit bestimmten Medienvertretern zur Verfügung gestellt würden, verhältnismäßig geringer, da die allgemein zu vergebenden Sitzplätze noch nicht konkretisiert sind und entsprechend den hierfür geltenden Maßstäben nach wie vor ein angemessener Teil der im Sitzungssaal verfügbaren Plätze dem allgemeinen Publikum vorbehalten bleibt (vgl. insofern BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 18. März 2008 – 1 BvR 282/01 -, NJW-RR 2008, S. 1069 <1071>; BGH, Beschluss vom 10. Januar 2006 – 1 StR 527/05 -, NJW 2006, S. 1220 <1221>; von Coelln, Der Zutritt von Journalisten zu öffentlichen Gerichtsverhandlungen, DÖV 2006, S. 804 <806 f. mit Fn. 32 ff.>). Eine solche Zuteilung der Sitze verletzt damit auch nicht den Grundsatz der Öffentlichkeit.

25

Das Bundesverfassungsgericht kann im Wege der einstweiligen Anordnung Maßnahmen treffen, die der Abwehr schwerer Nachteile in Situationen dienen, in denen eine verfassungsrechtliche Beurteilung angesichts der gebotenen Eile in der Sache nicht möglich ist. Danach sind entsprechende Maßnahmen nicht als die Durchsetzung eines endgültig verfassungsrechtlich gebotenen Ergebnisses zu verstehen, sondern als vorläufige Anordnung zur Abwendung oder Milderung von drohenden Nachteilen. Dies gilt insbesondere in einer Situation wie der vorliegenden, in der von vornherein kein verfassungsrechtlich gewährleistetes Recht auf Zugang zur Gerichtsverhandlung, sondern nur die mögliche Verletzung einer Chance auf gleichberechtigte Teilhabe in Frage steht, die Nachteile sich aber aus den Folgen einer möglichen Verletzung der Chancengleichheit ergeben. Die Maßnahme kann sich hier auf die Abmilderung dieser Folgen beziehen. Dies kommt vorliegend zwar einer teilweisen Vorwegnahme der Hauptsache gleich; in Ausnahmefällen ist dies jedoch zulässig, wenn die Entscheidung in der Hauptsache zu spät ergehen würde und in anderer Weise ausreichender Rechtsschutz nicht mehr gewährt werden könnte (vgl. BVerfGE 34, 160 <162 f.>; stRspr). Daher wird dem Vorsitzenden des 6. Strafsenats des Oberlandesgerichts aufgegeben, nach einem von ihm im Rahmen seiner Prozessleitungsbefugnis festzulegenden Verfahren eine angemessene Zahl von Sitzplätzen an Vertreter von ausländischen Medien mit besonderem Bezug zu den Opfern der angeklagten Straftaten zu vergeben. Möglich wäre, ein Zusatzkontingent von nicht weniger als drei Plätzen zu eröffnen, in dem nach dem Prioritätsprinzip oder etwa nach dem Losverfahren Plätze vergeben werden. Es bleibt dem Vorsitzenden aber auch unbenommen, anstelle dessen die Sitzplatzvergabe oder die Akkreditierung insgesamt nach anderen Regeln zu gestalten.

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Die Anordnung erstreckt sich allein auf ausländische Medien mit besonderem Bezug zu den Opfern der angeklagten Straftaten, weil die Beschwerdeführer, deren Antrag den Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bestimmt, sich auf ihr spezifisches Interesse einer Berichterstattung aus türkischer Perspektive wegen der türkischen Opfer der zu verhandelnden Straftaten berufen.

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4. Der weitergehende Antrag der Beschwerdeführer auf vollständige Aussetzung der Vollziehung der Platzvergabe vom 25. März 2013 sowie der Verfügungen vom 22. März 2013 und vom 4. März 2013 war hingegen abzulehnen, da die Beschwerdeführer insofern einen Antragsgrund nicht hinreichend dargelegt haben.

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5. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 3 BVerfGG.

Quelle: www.Bundesverfassungsgericht.de

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Kennzeichnungspflicht für Busse

Name und Sitz des Unternehmens müssen an beiden Außenseiten des Fahrzeugs gut sichtbar sein

Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 25.02.2013
– III-5 RBs 16/13 –

Bei einer im April 2012 in Essen durchgeführten Kontrolle eines im Schulbusverkehr eingesetzten Busses des Betroffenen fiel auf, dass das Fahrzeug – abgesehen von einem wenige Zentimeter großen Schriftzug unter den Außenspiegeln – keine außen sichtbaren Angaben zum Busunternehmen trug. Gegen den Betroffenen wurde daraufhin wegen fahrlässigen Verstoßes gegen § 20 Abs. 2 der Verordnung über den Betrieb von Kraftfahrunternehmen im Personenverkehr (BOKraft) eine Geldbuße von 50 Euro verhängt. Diese sah der Betroffene aufgrund der nach seiner Sicht durch die BOKraft nicht vorgeschriebenen Mindestgröße für eine Beschriftung und den insgesamt zu unbestimmten Vorgaben der Vorschrift als rechtswidrig an und verwies u.a. darauf, dass er ca. 1.000 Busse im Einsatz habe, die lediglich Schriftzüge der beanstandeten Art trügen.

Fahrgast muss sich klar und schnell über Beförderungsunternehmen informieren können!

Das Oberlandesgericht Hamm hat die Rechtmäßigkeit des gegen den Betroffenen erlassenen Bußgeldbescheides bestätigt. Die in Frage stehende Vorschrift der BOKraft sei hinreichend bestimmt. Nach der Intention der Vorschrift solle sich der Fahrgast im Interesse eines reibungslosen Betriebsablaufs klar und schnell über das Beförderungsunternehmen informieren können. Deswegen müssten an beiden Außenseiten (Längsseiten) des Fahrzeugs Name und Sitz des Unternehmens gut sichtbar, mithin so angebracht sein, dass jeder zusteigende Fahrgast sie ohne Weiteres wahrnehmen könne.

Zur deutlichen Lesbarkeit gehöre eine ausreichende Größe der Beschriftung mit einem klaren Schriftbild. Diesen Anforderungen genüge der auf dem kontrollierten Bus angebrachte Schriftzug nicht. Seine Schriftgröße sei zu klein gewählt, um für einen Fahrgast gut sichtbar und deutlich lesbar zu sein. Durch eine auffällige Farbgestaltung werde dies nicht „wettgemacht“. Zudem werde der Schriftzug beim Einsteigen häufig durch die geöffnete Tür verdeckt.

Quelle: Presseerklärung OLG Hamm

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